Ekel / Leichensache Kollbeck
die Versicherung das Geld für eine neue Tür her. Aber das erfordert eine polizeiliche Bestätigung. Deshalb drängt der Trabifahrer auf eine Unfallaufnahme durch die Verkehrspolizei. Und das behagt Karlheinz Dalgow überhaupt nicht, weil nun Ort, Zeit und Zeugen amtlich erfaßt werden.
Mißmutig und wortkarg bringt er Gisela nach Hause. Dann fährt er nach Königs Wusterhausen, stellt das lädierte Fahrzeug in der Garage ab und radelt die kurze Strecke nach Hause.
Beim Betreten der Wohnung begrüßt ihn die Gattin: „Mein Gott, kommst du heute spät!“
„Es ging nicht anders, ich war noch in der Unterkunft meiner Unteroffiziere – der Hauptfeldwebel hat Geburtstag“, versucht er sie zu beschwichtigen. Dann setzt er sich zu ihr, ist nett und zärtlich, aber er wirkt erschöpft.
Später, als sie zu Bett gehen, macht Jutta Dalgow eine beiläufige Bemerkung, die ihn wie ein Donnerschlag trifft: „Manchmal denke ich, du hast eine Freundin!“
„Wie kommst du auf so etwas Absurdes?“ fragt er unsicher.
„Ist schon gut. Könnte ja sein“, wehrt sie ab, als ob sie die Angelegenheit nicht weiter interessiert.
Er fühlt sich abgespannt und schlaff, möchte nur noch schlafen. Sein grüblerisches Hirn hält ihn aber lange wach. Immer wieder beschäftigt ihn die Frage, warum er die Entscheidung zwischen beiden Frauen scheut. Die eigentlichen Ursachen seiner Unentschlossenheit will er sich jedoch nicht eingestehen. Nämlich: Es ist ein charakterlicher Grundzug, größeren Lebensschwierigkeiten auszuweichen, statt sich ihnen zu stellen. Dalgow weiß, daß sein Innenleben aus den Fugen gerät, wenn sich zu viele Probleme vor ihm auftürmen. Dann wird er chaotisch, leidet unter Versagensängsten. Besonders, wenn er etwas Alkohol getrunken hat, kann ihn seine Empfindsamkeit so traktieren, daß Selbstmißtrauen, Weinerlichkeit und Schwermut, mitunter sogar der Gedanke an einen Freitod von ihm Besitz ergreifen.
Doch er ist klug genug, seine tatsächliche Gemütslage äußerlich mit einem strammen soldatischen Verhalten zu kaschieren. Folgerichtig verschweigt er Jutta den Defekt am Pkw.
Die nächsten Tage verbringt er, wie alle Regimentsangehörigen, in der Kaserne: Der 13. August steht bevor – Tag des Mauerbaus vor 19 Jahren oder, wie es offiziell heißt, Tag der „Errichtung des antifaschistischen Schutzwalls“. Erhöhte Einsatzbereitschaft ist angesagt. Immerhin: Die kriegslüsternen Bonner Ultras könnten diesen Tag zum Anlaß nehmen, um an der Staatsgrenze West zu stänkern. Da heißt es, besonders wachsam zu sein – wie jedes Jahr um diese Zeit. Also: Kein Ausgang, kein Urlaub für die Soldaten, statt dessen emsiges Säbelrasseln hinter den Kasernentoren. Doch Hauptmann Dalgow bleibt gelassen – wie jedes Jahr um diese Zeit.
Da der 13. August ohne besondere Vorkommnisse verläuft, wird die erhöhte Einsatzbereitschaft am Nachmittag des nächsten Tages aufgehoben. Bevor Hauptmann Dalgow die Kaserne verläßt, telefoniert er: Terminabsprache mit der Kfz-Werkstatt, ein kurzes Gespräch mit Jutta, um mitzuteilen, daß er sich auf den Heimweg macht, ein langes mit Gisela, mit der er sich für Sonntagnachmittag verabredet, denn Jutta und seine Tochter Tamara schippern um diese Zeit mit der „Weißen Flotte“ über die Berliner Gewässer.
Gegen Abend trifft er zu Hause ein. Sofort präsentiert Jutta ihm ein amtliches Schreiben der Verkehrspolizei: Zeugenvernehmung zum Unfallhergang am 10. August 1980: „Ist heute gekommen, du hast mir gar nichts davon erzählt!“
Dalgow zuckt zusammen. Hinter seinen Schläfen pocht der Puls. Obwohl er sich gefaßt gibt, errötet er wie ein Ministrant, der beim Griff in die Kollekte ertappt wird. Jutta bemerkt seine Fassungslosigkeit, blickt ihn fragend an, wartet auf eine plausible Erklärung. Eigentlich wäre nun ein Grund gegeben, sich ihr zu offenbaren. Aber er kann sich dazu nicht entschließen, entscheidet sich lieber für das vermeintlich einfachere Mittel der Lüge:
Er sei Zeuge eines Unfalls geworden, als er letzten Sonntag zur Dienststelle fuhr. In Niederlehme, kurz vor dem Kalksandsteinwerk, sei ein Trabi mit einem Lada zusammengestoßen, aber es habe nur Blechschaden gegeben.
„Ach, ein Trabi und ein Lada“, lächelt Jutta mehrdeutig.
Dalgow ist verwirrt, denkt: Warum diese Ironie? Unsicher fragt er: „Sag mal, glaubst du mir nicht?“
„Aber, wo denkst du hin! – Warum sollte ich dir nicht glauben?“ wehrt sie mit großer Geste ab. Und in ihrem
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