Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
Vom Netzwerk:
Patient ist. Sie durchsuchen die Taschen seines blutverschmierten Anoraks und fördern einen Taschenkalender des Jahres 1967 zutage. Auf der ersten Seite stehen die Personalien des Inhabers: Erwin Schaper aus Eisenach. Auf einer der letzten Seiten befinden sich merkwürdige Botschaften: In der Spalte des 30. Dezember die Namen Renate und Sabine, in der des 31. Dezember der Name Marlene und ein großgeschiebenes „ICH“. Und hinter jeder dieser Eintragungen ein dickes, schwarzes Kreuz. Diese Kreuze sind kein gutes Omen. Das Krankenhaus informiert die Kriminalpolizei. Am 2. Januar 1968 wird gegen Erwin Schaper ein Ermittlungsverfahren wegen dreifachen Mordes eingeleitet. Das Krankenhaus teilt inzwischen mit, daß sich der Patient Schaper auf dem Wege der Besserung befindet. Von nun an wird alles getan, um ihn an einem weiteren Selbstmordversuch zu hindern. Auf ungewöhnliche Weise erfüllt sich jedoch ein knappes Jahr später in der Strafvollzugsanstalt Leipzig Erwin Schapers Todessehnsucht.
    Zweifellos liegt bei Erwin Schaper eine suizidale Persönlichkeit vor. Seine neurotische Entwicklung und die sich aus der Fehlerziehung im Elternhaus erklärende Verhaltensstörung führten zu einer Charakterdeformation, die den maßlosen Egoismus, die Arroganz und die Unfähigkeit zu sozialer Wärme begründen. Dennoch, so stellte der psychiatrische Gutachter fest, bestand bei ihm zu jeder Zeit die tatbedeutsame Einsichtsfähigkeit in seine Handlungen. Die Ermordung der Ehefrau, des Kindes und der Geliebten geschah keineswegs in einem schuldmindernden Geisteszustand, sondern direkt vorsätzlich. Denken und Handeln waren durch die suizidale Gemütsverstimmung nicht so eingeengt, daß er keine andere Lösungsmöglichkeit zur Realisierung der Selbstmordabsicht gefunden hätte, als die über den kriminellen Umweg der Ermordung anderer Menschen
.
    Ebensowenig lagen auch Kriterien für strafmildernde Umstände einer Tötung auf Verlangen vor, wie im Falle der Ehefrau bei fälschlicher Beurteilung angenommen werden könnte. Und dies, obwohl sie Erwin Schaper „bittet“, sie zu töten. Eine Tötung auf Verlangen, die nach DDR-Strafrecht gemäß § 113 Abs. 1 Ziffer 3 StGB zur Minderung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit besondere Tatumstände vorausgesetzt hätte, war deshalb nicht zu begründen, weil die entsprechenden Tatbestandsmerkmale nicht vorlagen. Sie hätten unter anderem eine freie Willensentscheidung der Ehefrau vorausgesetzt. Diese lag nicht vor, weil Erwin Schaper sie sowohl durch psychische als auch physische Gewalt zum Todesverlangen nötigte. Eine freie Entscheidung war ihr folglich nicht möglich. Sie hat die Tötung schon deshalb nicht ausdrücklich verlangen und den Ehemann zur Durchführung bestimmen können – wozu im übrigen auch jeder motivationale Hintergrund gefehlt hätte –, weil Erwin Schaper den Tötungsvorsatz schon längst gefaßt hatte
.
    Auch ein gemeinsamer Suizid muß verneint werden. Denn im Unterschied zum erweiterten Suizid muß eine zweite Person einbezogen werden, die für sich selbst alle Merkmale der Suizidalität aufweist. Es handelt sich folglich um zwei Suizidenten mit gleichzeitiger Bereitschaft, aus dem Leben scheiden zu wollen. Die Gemeinsamkeit der Tatdurchführung und der eigenständige, für jeden der Beteiligten zutreffende Selbsttötungsentschluß sind die entscheidenden Kennzeichen für den gemeinsamen Suizid
.
    Letztlich muß man sich bei der Einschätzung des Falles Erwin Schaper davon leiten lassen, daß keineswegs vermeintlich altruistische Motive vorliegen, wie sie beim erweiterten Suizid typisch sind, die die Tötung der Ehefrau, des Kindes und der Geliebten bestimmt haben. Einzig und allein Schapers maßloser Egoismus (nach dem Schema: Wenn ich mich schon töte, haben die anderen auch kein Recht zu leben.) bildete die Triebkraft zur Tötung der drei. Und: Die Realisierung einer Selbsttötungsabsicht setzt voraus, die inneren Hemmschwellen zu überwinden, die den letzten Schritt womöglich abbremsen
.
    So wie etliche Halunken den Umweg gehen, sich erst Mut anzutrinken, um den Einbruch oder den Überfall zu wagen, gibt es suizidale Persönlichkeiten, die ihre Aggression gegen sich selbst nur über den Umweg der Aggression gegen andere vollenden können. Mancher Amokschütze tötet deshalb, weil der eigene Todeswunsch sich erst über den Umweg der Tötung anderer realisieren läßt, z. B. in der sicheren Erwartung, von der Polizei erschossen zu werden. Mancher Söldner

Weitere Kostenlose Bücher