Ekel / Leichensache Kollbeck
nur für instinktlose Dummköpfe! Und wenn sie sich im Suff kloppen müssen, meinetwegen, aber politisch werden darf es nicht! Ich erwarte eine schriftliche Stellungnahme, von jedem, spätestens bis Mittag!“
„Ich veranlasse das Notwendige, Genosse Hauptmann!“ pariert der Hauptfeldwebel und tritt ab.
Dalgow muß sich nun erst um diese Sache kümmern, als das zu bearbeiten, was in seinem Blechschrank schon länger auf ihn wartet. Das ärgert ihn zusätzlich. Gegen Mittag meldet sich telefonisch der Stabschef des Regiments, Major Geber, mit einem kurzen Befehl: „Genosse Hauptmann, vierzehn Uhr bei mir!“ Dalgow erscheint pünktlich. Er hat die Stellungnahmen der drei Soldaten mitgebracht, um sie dem Stabschef zu präsentieren. Doch der winkt ab: Es geht nicht um die prügelnden Witzeerzähler, sondern Dalgows Ehefrau habe um eine Aussprache gebeten. Am Telefon wollte sie sich nicht näher äußern, doch gehe es um Eheprobleme. Der Fairneß halber wolle er aber erst mit ihm sprechen. Außerdem ginge es ihm darum, sich ein konkreteres Bild über die Situation zu machen.
Dalgow ist erschüttert. Dunkle Vorahnungen scheinen bittere Realität zu werden: Jutta will offensichtlich den ehelichen Müll vor seinen Vorgesetzten ausschütten. Das verletzt ihn sehr. Nun gesellt sich zu seiner Bedrängnis auch Wut über eine kaum abzuwendende Blamage. Fieberhaft sucht er nach einem Ausweg. Doch Zeit für langes Überlegen gibt es nicht. Major Geber erwartet von ihm eine unverzügliche Reaktion. In Sekundenschnelle entschließt sich Dalgow: Maximale Schadensbegrenzung erreichen, Gisela aus allem heraushalten, heute Abend Jutta davon überzeugen, das beabsichtigte Gespräch mit Major Geber rückgängig zu machen!
„Mir ist das alles ziemlich peinlich“, beginnt Dalgow seine Erklärung, „aber nun muß ich wohl …“ Doch es folgt keineswegs eine Schilderung der wahren Gründe, die das eheliche Leben belasten. Dalgow serviert seinem Vorgesetzten die wundersame Geschichte vom Mustergatten, seiner in höchstem Maße genervten Ehefrau und ihrer krankhaften Eifersucht. Bildreich schildert er, wie die Angetraute seine dienstliche Abwesenheit von zu Hause auf üble Weise mißdeute. Permanent wähne sie ihn in den Armen irgendeiner Geliebten – für sie Grund genug, ihn ständig mit Vorhaltungen zu bombardieren. Er glaube, daß sie dringend psychotherapeutischer Hilfe bedürfe.
Das überzeugt Major Geber. Seine anfängliche Vermutung, Dalgows Ehedrama könne politische Dimensionen erreichen und erfordere womöglich den kittenden Einfluß der Parteiorganisation, hat sich nicht bestätigt.
„Gut, daß ich jetzt im Bilde bin, Genosse Dalgow“, schließt er das Gespräch ab. „Vielleicht kannst du deine Frau noch davon abbringen, hier unnötig Staub aufzuwirbeln. Versprich mir, daß sie einen Arzt aufsucht … Und erstatte mir gelegentlich Meldung, was aus der Geschichte geworden ist!“
Hauptmann Dalgow fällt ein Stein vom Herzen: Wieder ist es ihm gelungen, sich aus einer heiklen Lage zu befreien, wenn auch nur für kurze Zeit.
Nun muß er Jutta überzeugen. Da er richtig vermutet, sie gegen Mittag nach dem Schulunterricht zu Hause zu erreichen, ruft er an, bemüht sich, freundlich zu sein. Doch Jutta ist schroff und ablehnend: Sie sei von ihm enttäuscht, habe seine Lügen satt und könne nicht verstehen, warum er ihr verschwiegen habe, selbst in den Unfall verwickelt gewesen zu sein. Sie verspüre keine Lust mehr, mit ihm zu sprechen. Dann legt sie den Hörer auf. Mit einer solchen Reaktion hat er nicht gerechnet. Jetzt erst wird ihm bewußt, wie weit er sich bereits im Gestrüpp der Unwahrheiten verfangen hat. Und das nur, um sein verletzliches Image zu schützen. Er fühlt sich auf der ganzen Linie als Versager, erkennt die nahezu ausweglose Mißlage als Folge seiner eigenen Unzulänglichkeit, ahnt, die Dinge bald nicht mehr beherrschen zu können. Und je mehr seine inneren Widerstandskräfte schwinden, um so intensiver beherrscht ihn der Lebensüberdruß.
Nur diffuse Gefühle leiten ihn noch. Und sie führen in das Dilemma: Nach Dienstschluß radelt er in Richtung Königs Wusterhausen, stellt das Fahrrad in die Garage und benutzt, trotz des eingedrückten Scheinwerfers, den Moskwitsch zur Weiterfahrt nach Wildau. Nein, nach Hause kann er jetzt nicht! Überraschend erscheint er bei Gisela, will sie kurz sprechen. Sein übler seelischer Zustand erschreckt sie. In ihren Armen schluchzt der stramme Soldat wie ein
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