El Camino Amable
Kunst-Design-Diploms und will vor ihrem dreißigsten Geburtstag einmal in Ruhe auf dem Camino nachdenken. Das holländische Ehepaar aus Ventosa ist auch da und inzwischen schon so zutraulich, dass sie in ihren Gesprächen mit mir von Französisch auf Deutsch umsteigen. Es ist laut und fröhlich. Dann helfe ich beim Abwaschen — das ist ’ne Menge! Beim Abwasch helfen auch noch zwei Holländerinnen und der spanische Gitarrenspieler. Maria, die die Tische abwischt, ermahnt uns nach einiger Zeit: „Hey girls, you’re not of the standard of that macho ibérico!“, bloß weil wir beim Abspülen etwas mehr Schaum am Geschirr lassen als der Spanier. Der gibt zurück, er sei kein „Macho“, er sei immer in der Küche zu finden, während holländische Guys bei ihrer Hochzeit noch nicht einmal wüssten, wo sich denn im Hause die Küche überhaupt befinden könnte!
Es wird dann freundlich zur Andacht eingeladen. Ich hole noch schnell meine Socken aus dem Kirchenfenster, bevor es dafür zu dunkel wird. Dann gehe ich auf die Empore in der Kirche. Der riesige vergoldete Altar ist beleuchtet, während der Rest der Kirche im Dunkel liegt. Wir sitzen auf sehr altem Kirchengestühl, es ist aus Holz geschnitzt und oben auf den Kopfteilen mit äußerst filigranen Verzierungen versehen. Auf den Armlehnen zwischen uns brennen Teelichter und sorgen mit ihrem weichen Licht für eine stimmungsvolle Atmosphäre. Wir sitzen im Viereck. Die Andacht beginnt mit einigen kurzen Wortteilen, die von den Teilnehmern in verschiedenen Sprachen vorgetragen werden. Dann wird eine Kerze herumgereicht; wer will, kann dabei etwas sagen. Das Mädchen aus Ungarn ist offenbar sehr traurig, sie weint still. Einer der Hostaleros nimmt sie im Anschluss kurz in den Arm.
Es ist fast 10 Uhr und allmählich verziehe ich mich in meinen Schlafsack auf der Galerie über der Küche. Wir schlafen alle dicht nebeneinander auf dem Holzfußboden. Ich habe mir meine Isomatte unter die dünne Matratze geschoben, kann aber trotzdem kaum schlafen. Wahrscheinlich sind sieben Kilometer am Tag einfach zu wenig. Etwas mehr Wein abends ist auch besser für mich. Der linke Fuß tut weh. Ich werde dann irgendwann wach, weil Maria mir im Schlaf ihre Knie auf die Beine gepackt hat. Es ist schon ein bissel eng hier.
8. Tag
Grañón—Belorado
Nach dem gemeinsamen Frühstück verabschiede ich mich per Handschlag von den Hostaleros. Antonio mutet mir noch eine Rede auf Spanisch zu. Ich sage an einigen (hoffentlich den richtigen) Stellen immer mal wieder „sí“. Ich will versuchen, mir für meinen Weg das Wort „herzensgut“ zu merken. Es ist ein wichtiges, ein richtig gutes Wort. Antonio strahlt genau das aus.
Kurz vor sieben gehe ich los. Da ich eine Tablette genommen habe, sind die Schmerzen im Fuß erträglich. Der Weg führt durch Weizenfelder, die Landschaft ist leicht gewellt, es ist kühl, regnet aber nicht. Etwa 200 Meter vor mir geht der Mann mit dem gelben T-Shirt, den ich schon in Cizur Menor und Puente la Reina gemieden habe. Komisch, dass ich mich hier im Ausland, wo ich wirklich niemanden kenne, von zwischenmenschlicher „Chemie“ leiten lasse. Ein bisschen schäme ich mich, weil da so ungeniert Vorurteile durchkommen. Andererseits muss ich auch nicht jedermann mögen. Wer weiß, wie viele mich meiden. Und außerdem gehe ich wirklich lieber allein. Irgendwann überhole ich ihn dann mit einem „Buen Camino“. (Gestern habe ich tatsächlich einem Radfahrer aus Versehen „Buen Camion“ — frz. „Lastwagen“ — nachgerufen. Peinlich!)
Nach 16 Kilometern kommt Belorado in Sicht. Gleich am Anfang liegt eine „kommerzielle“ Herberge mit dem Charme einer Autobahnraststätte. Da ist wirklich überhaupt kein Flair, aber sie ist geräumig, blitzsauber und hat tatsächlich drei (!) Klos allein für die weiblichen Pilger. Mein lädierter Fuß setzt sich durch und ich bleibe für heute hier — auch wenn es noch früh ist und obwohl diese „Albergue“ wirklich etwas unsportlich ist. Sie hat aber einen großen Waschraum mit vier Waschmaschinen und Trocknern. Also ist heute gleich Waschtag angesagt.
Am späten Nachmittag humple ich in die Stadt, um Lebensmittel zu kaufen. Als ich zur Herberge zurückkomme, putzt gerade ein junges Mädchen mit einer Zahnbürste seine Sandalen vor der Herberge. Sie fragt in gebrochenem Englisch, ob hier wohl auch eine Küche sei. Ich bejahe und lade sie zum Mitkochen und -essen ein. Daraufhin fragt sie, wie viel Euro ich
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