El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
keinen Schutz«, erinnert sich Vigil. »Es war wie Iron-Man-Football; wir hatten keine Schulterpolster und mussten brutale Stöße wegstecken, die von politischen Interessen beiderseits der Grenze ausgingen.«
Bei einer Gelegenheit organisierten Vigil und ein Kollege namens Enrique »Kiki« Camarena eine Razzia auf einer abgelegenen Marihuana-Ranch in Sonora. Sie hatten verlässliche Informationen über bewaffnete Wächter auf dem Grundstück, deshalb mieteten sie einen Lkw und forderten von der mexikanischen Armee dreißig Mann Unterstützung an. Doch bereits als sie eintrafen, wurden sie von allen Seiten unter Beschuss genommen. Die Soldaten erwiderten das Feuer, doch den Narcos gelang bis auf einen die Flucht. Dieser fiel im Kampf, nachdem er dreißig Minuten lang Widerstand geleistet hatte.
Seinerzeit herrschte in der mexikanischen Armee die Devise, keine Gefangenen zu machen. Juristische Spitzfindigkeiten interessierten nicht. Um jegliche Zweifel der Staatsanwälte an der Verwicklung des Toten in den Drogenhandel auszuräumen, füllten sie seine Taschen mit unbehandeltem Marihuana. Das war die gängige Rechtsauslegung der Zeit. »Mexiko war sich bewusst, dass man einen Krieg an der Backe hatte«, erinnert sich Vigil. »Die Menschenrechte interessierten damals grundsätzlich niemanden. Sie taten, was sie glaubten tun zu müssen, um die Drogengewalt einzudämmen … Es herrschte schlicht das Recht des Stärkeren.«
Der Modus Operandi der DEA bestand damals wie heute darin, das Leben ihrer besten Männer aufs Spiel zu setzen, da die wichtige Drecksarbeit jemandem übertragen werden musste, der vertrauenswürdig war. Als Agent traf man sich mit einem Drogenhändler, um die Konditionen auszuhandeln. Die Treffen fanden bei Tageslicht, oft in Grenzstädten wie Sonora
statt. Man musste seinen Widerpart in dessen Haus oder an einem ihm unbekannten Ort aufsuchen und Heroin oder Marihuana kaufen. Dies alles geschah ohne Rückendeckung, und da die Treffen oftmals auf Verlangen des Dealers in der Öffentlichkeit stattfanden, war man nach erfolgter Festnahme auf der US-Seite der Grenze leicht zu kompromittieren, falls die Einzelheiten der DEA-Verwicklung publik wurden.
»Die Zeiten waren ziemlich hart«, meint Vigil und fügt hinzu, die DEA habe ihre besten Leute nach Mexiko geschickt. »Das waren tapfere Männer, die eine Menge Einfallsreichtum besaßen. Das Ganze war wie Schach mit lebenden Figuren. « 105
Ende 1984 erreichte die Spannung ihren Höhepunkt. Camarena, ein DEA-Veteran mit elf Jahren Erfahrung, war besonders bekannt für sein unerschrockenes Vorgehen.
Er arbeitete von Guadalajara aus und war von dort tief in die Drogenszene des Goldenen Dreiecks eingedrungen. Es war ihm sogar gelungen, das Vertrauen von El Padrino zu gewinnen.
Aufgrund von Camarenas Informationen stürmten vierhundertfünfzig von Helikoptern unterstützte mexikanische Soldaten die als Rancho El Búfalo bekannte, tausend Hektar große Marihuana-Plantage auf der Ostseite der Sierra Madre in Chihuahua. Mehr als tausend Campesinos arbeiteten auf diesen Feldern, deren Jahresproduktion später auf acht Milliarden Dollar hochgerechnet wurde. Die Drogenbarone schäumten vor Wut, aber auch vor Furcht, denn sie mussten annehmen, dass die Razzia nicht auf unzureichende Sicherheitsvorkehrungen, sondern auf Verrat in den eigenen Reihen zurückzuführen war.
Diese Furcht war nicht unbegründet. Im Unterschied zu Fällen in der Vergangenheit, als die DEA-Agenten sich damit begnügten, dass die mexikanischen Behörden die üblichen Verdächtigen (meist unbedeutende Bauern) festnahmen, wollte
Camarena an die Bosse herankommen. Er arbeitete daran, die mexikanischen Top-Narcos zu identifizieren und ihre Aufenthaltsorte festzustellen. Die »Operation Godfather« war ein Projekt, mit dem er El Padrino ins Visier nahm.
Doch am 7. Februar 1985 unterbrach Camarena seine Arbeit, um in Guadalajara mit seiner Frau zu Mittag zu essen. Plötzlich hielt ein Wagen neben ihnen, aus dem fünf Männer sprangen. Einer von ihnen wies sich als mexikanischer Polizist aus. Sie packten Camarena und stießen ihn in ihren Wagen. Er wurde nie mehr lebend gesehen.
Die Entführung löste bei der DEA Wut und Zorn aus. Offenbar war die mexikanische Polizei in den Vorfall verwickelt, aber in Los Pinos, dem mexikanischen Pendant zum Weißen Haus, herrschte Funkstille. In Washington gab man der DEA zu verstehen, dass sie den Vorfall zu akzeptieren habe, dass die Beziehungen zwischen
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