El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
andere billige Güter wurden in den Norden gebracht, die illegalen Einwanderer wurden von Ortskundigen über die durch die nahe gelegene Wüste verlaufende Grenze geführt oder in den Lastwagen versteckt, die zu Hunderten die Checkpoints passierten. Auch der Rio Tijuana bot eine Möglichkeit, illegal in die USA zu gelangen. In den Achtzigern war zu den klassischen kriminellen Lastern noch der Kindesmissbrauch gekommen, der schnell unvorstellbare Ausmaße annahm. Funktionierende Regierungen oder eine Polizei, die ihren Pflichten nachkam, blieben in Tijuana immer eine Illusion.
Inzwischen hat Tijuana 1,2 Millionen Einwohner, die Vororte und Elendsquartiere erstrecken sich fast bis ins knapp zweihundert Kilometer entfernte Mexicali. Anfang der Neunziger übernahmen die Arellano-Félix-Brüder die Stadt. Schon damals konnte man davon ausgehen, dass die Mehrzahl der Politiker und öffentlichen Repräsentanten in die kriminellen Machenschaften verstrickt waren und sich an den Casinoeinnahmen und der Geldwäsche schadlos hielten. Schon wenige Wochen nach ihrer Ankunft waren die Arellano-Félix-Brüder Teil dieser sozialen Zirkel. Sie besuchten die richtigen Partys und kannten die richtigen Leute.
So lernten sie auch Jorge Hank Rhon kennen und standen bald mit ihm auf vertrautem Fuß. 110
Ohne Jorge Hank Rhon ist keine Geschichte Tijuanas vollständig, und ohne seinen Vater Carlos Hank González kann man keine Geschichte der Politik und der Korruption in Mexiko schreiben. Carlos Hank González war lange Jahre der Königsmacher der PRI und nutzte seine politische Position, um sich zu bereichern und enge Beziehungen zum Drogenhandel zu knüpfen. Er lebte und handelte nach seiner berühmt-berüchtigt gewordenen Devise: »Ein Politiker, der arm ist, ist ein armseliger Politiker.« 111
Eine hochrangige Quelle aus einer der mexikanischen Strafverfolgungsbehörden nannte Hank González einmal »den wichtigsten Vermittler zwischen den Drogenkartellen und dem politischen System Mexikos«. 112
Allerdings wurde schnell deutlich, dass Hank Rhon, sein zweitältester Sohn, ihm weder als Politiker noch als Geschäftsmann das Wasser reichen konnte. Hank Rhon war 1985 im Alter von neunundzwanzig Jahren nach Tijuana gezogen und stieg schnell zu einer prominenten und tonangebenden Figur auf, zumal er mit Agua Caliente eine Pferderennbahn mit einer langen, prestigereichen Geschichte übernahm. Doch Hank Rhons Missmanagement führte direkt in den Untergang. Binnen fünf Jahren war die Rennbahn bankrott, und die Besitzer zogen ihre Pferde zurück. Dennoch war Hank Rhon weiterhin dank seines Erbes ein pittoresker Multimillionär, der Dauergast in den Klatschspalten der Lokalpresse war.
Obwohl man Hank Rhon nie nachweisen konnte, dass er mit dem Drogengeschäft in Tijuana in Verbindung stand, legte er stets Wert darauf, den Lebensstil eines Narcos zu pflegen. Auf seiner Ranch außerhalb der Stadt gab er rauschende Partys, an denen gelegentlich auch die Arellano-Félix-Brüder teilnahmen. Er ließ sich die Haare lang wachsen und trug mit
Vorliebe Cowboystiefel, die er aus dem Leder exotischer Tiere anfertigen ließ.
Dennoch hatte der Mann, der später zum Bürgermeister von Tijuana gewählt werden sollte und sogar für das Amt des Gouverneurs von Baja California kandidierte, immer schon ein Herz für Tiere. Als Kind spielte er auf der Ranch seines Vaters außerhalb von Mexiko-Stadt mit dressierten Pferden und Rassehunden. Als Kuscheltiere hat er zwei Wölfinnen, und es heißt, in seinem Haus halte er Pythonschlangen und bringe manchmal Tiger mit ins Büro, um seine Angestellten aufzuscheuchen. Im Innenraum der Rennbahn von Agua Caliente, die nun zu einer billigen Hunderennbahn verkommen ist, befindet sich Hank Rhons vielleicht größte Errungenschaft: ein privater Zoo mit 20 000 Tieren aller Rassen und Größen – Zebras, Löwen, Giraffen, Wölfe, Emus, Eulen, Bären. An der Ostseite der Bahn befinden sich die Käfige seiner weißen Tiger, die sein ganzer Stolz sind. Weltweit existieren nur zweihundert dieser Spezies, Hank Rhon besitzt vierzehn von ihnen. 113
Darüber hinaus ist er Vater von achtzehn Kindern, die er mit drei Ehefrauen und einer Geliebten in die Welt gesetzt hat. Frauen, so soll Hank Rhon einmal einem Reporter erzählt haben, seien seine Lieblingstiere. 114
Allerdings riefen Hank Rhons mutmaßliche Beziehungen zu den Arellano-Félix-Brüdern ein weitaus größeres Medienecho hervor als seine exotischen Tiere und seine
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