El Silbador
Gang?
Unruhig ging der Gefangene in seiner Zelle auf und ab. Was für ein Verhängnis hatte den echten Grafen in diese gräßliche Situation gebracht? Wer war diese Frau, die er noch gestern Madonna genannt hatte? War sie wirklich die Frau des gefangenen Esteban?
Michel blieb neben dem Stein auf dem Loch stehen und blickte erwartungsvoll auf die Erde. Die Zeit verrann. Der Leidensgenosse kam nicht. Da entschloß sich Michel, selbst den Weg durch den Gang zu wagen. Gedacht, getan.
Michel kniete neben dem Loch. Sein Arm fuhr langsam und suchend hinein bis zur Achsel. Sorgfältig tasteten seine Hände Zentimeter für Zentimeter der Wandung ab. Da war der Einschnitt. Er drückte seine Finger hinein. Ein Knirschen wurde hörbar, und gleich darauf drehte sich der große Quaderstein halb um seine eigene Achse.
Michel steckte zuerst die Beine in die Finsternis. Am oberen Rand hielt er sich fest, um nicht abzustürzen. Aber er war noch nicht bis zur Hälfte seines Körpers in den Boden gesunken, als seine Füße Wider-stand fanden. Vorsichtig tastete er sich weiter. Er merkte, daß er auf der obersten Stufe einer Treppe stand.
Drei, vier solche Stufen kamen noch. Dann war die Treppe zu Ende. In gebückter Haltung konnte er weitergehen. Den Einstieg in seiner Zelle hatte er durch einfachen Druck gegen das untere Ende des Quadersteins wieder verschlossen.
Mit ausgestreckten Händen, die er wie Fühler gebrauchte, arbeitete er sich Schritt für Schritt voran. Ewig lang erschien ihm der Gang. Die tiefe Dunkelheit erschwerte das Unternehmen beträchtlich.
Da, jetzt stießen seine an den Wänden entlanggleitenden Hände auf einen tiefen Mauereinbruch. Mit Erleichterung stellte er fest, daß er eine Treppe vor sich hatte. Hier mußte der Aufgang in die Zelle des Grafen sein. Bald stieß er mit dem Kopf gegen Steine. Aha, der drehbare Quader! Er stemmte sich kräftig dagegen. Sekunden später stand er in der Zelle.
Von der Pritsche her drang ein schmerzliches Stöhnen an sein Ohr. Was mochte dem Grafen fehlen? War er plötzlich erkrankt?
»Don Esteban«, flüsterte Michel und trat dicht an des anderen Lager. »Was ist mit Euch? Warum seid Ihr nicht gekommen?«
Michel beugte sein Ohr tief hinunter in die Nähe des unzusammenhängende Worte stammelnden Mundes. Wie erstaunte er, als er folgendes vernahm:
»Oh... El Silbador ist gekommen, um mich zu rächen. Oh .. . seid Ihr es wirklich, Don Silbador? — Ihr habt mir ja versprochen, daß Ihr dem Majordomo alles doppelt und dreifach heimzahlen
werdet, wenn mir etwas geschieht. Oh ... oh......mein armer Leib ...oh!«
Da wußte Michel, wen er vor sich hatte. Auf der Pritsche lag Pedro, der Schäfer, und phantasierte. Wahrscheinlich hatte sich bereits das Wundfieber eingestellt. Und Michel, der Arzt, mußte untätig zusehen, wie ein Patient wahrscheinlich in den nächsten Tagen ohne Hilfe und Trost sterben würde. Dabei hätte es nur weniger Medikamente bedurft, um ihn zu retten. Michel zog sich aus der Zelle zurück.
Welch ein Unglück, daß man den Grafen aus seiner Nähe fortgebracht hatte! Kaum hatte er einen Nachbarn gefunden, hatte er ihn auch schon wieder verloren. Das Schicksal machte zuweilen wunderbare Winkelzüge.
Unter solcherlei Gedanken hatte Michel seine eigene Zelle wieder erreicht. Er wollte sich gerade anschicken, den Gang zu verschließen, als von seiner Pritsche her jemand sagte: »Nun, Senor, Ihr wart selbst auf Entdeckungsfahrt, wie ich sehe. Ich nehme an, daß Ihr meine Worte bestätigt gefunden habt. Es führt von hier aus tatsächlich kein Weg in die Freiheit.« »Diablo«, entfuhr es Michel. »Seid Ihr es wirklich, Graf?«
»Natürlich bin ich es. Ich habe Euch doch versprochen, Euch nach Einbruch der Dunkelheit aufzusuchen.«
»Und ich komme soeben aus Eurer Zelle«, meinte Michel verwundert. »So müssen wir aneinander vorbeigegangen sein, ohne daß wir es bemerkt haben. Was haltet Ihr von dem Zustand Pedros?«
Jetzt war es an dem Grafen, erstaunt zu fragen: »Welchen Pedro meint Ihr?«
»Denjenigen, der in Eurer Zelle liegt, den sie heute nachmittag halb zu Tode geprügelt haben.« De Villaverde fuhr auf.
»In meiner Zelle?« fragte er. »In meiner Zelle wohnt außer mir niemand.« »Scherzt nicht, Don Esteban. Ich komme doch direkt von dort und habe den Mann selbst im Fieber sprechen gehört. Ich träume nicht. Dazu erheischt die ganze Situation, in der wir stecken, viel zu sehr unsere ganze Aufmerksamkeit.«
»Santa Maria«, sagte der
Weitere Kostenlose Bücher