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El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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natürlichen Todes gestorben.«
    Michel dachte nach. Hatte nicht jener Diener, der sich Juan nannte, über den alten Grafen in ziemlich abfälliger Art gesprochen? Hatte er ihn nicht eine willenlose Puppe genannt? Er teilte diese seine Beobachtung dem Grafen mit. Dieser nickte nur trübsinnig.
    »Das habe ich mir schon gedacht. Wahrscheinlich ist er heute so weit, daß er den falschen gar nicht mehr vom echten Sohn unterscheiden kann. Vielleicht hat er gar unter dem Einfluß meines Vetters ein Testament zu dessen Gunsten gemacht. So könnte Fernando, das ist der richtige Name meines Vetters, gar noch auf rechtliche, unanfechtbare Weise nach dem Tode meines Vaters in den Besitz des Schlosses kommen. Villaverde ist so abgelegen, daß sich kaum ein Mensch jemals um die Zustände hier kümmern würde. Zudem ist das Schloß kein Lehen, sondern uralter, einstmals käuflich erworbener Familienbesitz.«. Michel stand auf und schritt in der Zelle auf und ab.
    »Wenn es mir gelänge, hier herauszukommen, so würde ich Euch bald zu Euerm Recht verholfen haben, Graf«, sagte er. Esteban lachte bitter auf.
    »Es gibt keine Möglichkeit einer Flucht. Ich kenne die Gänge, die unter dem Schloß entlangführen, ganz genau. Ja, wenn wir die Wand der vierten Zelle durchbrechen könnten! Dort
    führt ein Gang vorbei, der im Gebirge — weit draußen — endet. Doch sind die Felsmauern mindestens zwei Meter dick. Und wir haben nichts als unsere Fingernägel zum Durchbrechen des Gesteins. Weiß Gott, ein unzureichenderes Werkzeug gibt es nicht.«
    Michel begann plötzlich, ganz in Gedanken, laut zu pfeifen. Es war eine Stelle aus der kleinen g-Moll-Fuge von Johann Sebastian Bach, die ihm noch vom letzten königlichen Konzert in Berlin her im Gedächtnis geblieben war. Der Graf erschrak zuerst, hörte dann aber andächtig zu.
    Michel brach ebenso plötzlich ab, wie er begonnen hatte; denn es wurde ihm bewußt, daß er sich einer Unhöflichkeit dem Gast gegenüber schuldig gemacht hatte.
    »Verzeiht, Don Esteban ... manchmal kommt es so über mich. Dann muß ich pfeifen. Es hat mir schon in vielen Situationen geholfen.« Esteban meinte verwundert:
    »Ihr seid ja ein wahrer Künstler! Was war das, was Ihr gepfiffen habt? Ich bin wohl in der Musik bewandert, kann mich aber nicht erinnern, dieses Stück jemals vernommen zu haben.« »Das glaube ich Euch. Es stammt von einem bedeutenden deutschen Komponisten. Etwas ganz Modernes. Ich hörte es am Hofe Friedrichs II. von Preußen in einem Konzert. Es hat mich sehr ergriffen.«
    »Ihr wart schon am Hof des kriegerischen Preußenkönigs?« fragte Don Esteban verwundert. »Nach Euren Worten von heute nachmittag hielt ich Euch für einen eingefleischten Anarchisten. Wie verträgt sich das miteinander?« Michel lachte.
    »Ich bin kein Anarchist; denn ich lehne Recht und Gesetz nicht ab. Nur die willkürlichen Handhabungen dieser beiden obersten Grundsätze des menschlichen Staates kann ich nicht anerkennen. Entweder gilt das gleiche Recht für jedermann, oder es ist kein Recht. Mit dem Preußenkönig hat es seine eigene Bewandtnis. Er gibt sich wenigstens Mühe, in seinem Lande einen Rechtsstaat aufzubauen, was ihm zwar auch nicht gelingen wird; denn ein einzelner ist niemals dazu imstande. Aber der gute Wille ist da. Und das ist schon sehr viel. Sympathisch ist mir Friedrich II. dadurch geworden, daß sein erstes Amtsgeschäft nach seinem Regierungsantritt die Abschaffung der Prügelstrafe war. Das ist viel für Europa. Nun, trotz allem gibt es vorläufig auf der Welt nur zwei Länder, in denen der Anfang der menschlichen Freiheiten geschaffen wurde. Das sind die Schweiz und die neugegründeten Vereinigten Staaten von Nordamerika.« Der Graf fragte:
    »So erkennt Ihr auch den Adel der Geburt nicht an?«
    »Niemals. Was ist schon Geburt? Wieso maßt sich der eine Vorrechte vor dem anderen an?« »Ihr scheint ein rechter Hitzkopf zu sein. Dennoch muß ich sagen, daß es mir Freude macht, mit Euch zu sprechen. Es bringt Abwechslung in die Eintönigkeit des Gefangenendaseins.« Michel mußte lachen.
    »Fürwahr, sonderbare Gespräche für zwei Menschen, die jeden Moment das Schicksal des armen Schäfers teilen können.«
    »Ach so, ja, der Schäfer, was ist mit ihm? Hat er sich erholt von den fürchterlichen Schlägen?« »Wenn ihm nicht schnellste Hilfe zuteil wird, wird er nicht mehr lange am Leben bleiben. Er muß furchtbare Qualen leiden.«
    »Diese Teufelin«, zischte der Graf. »Gott wird sie

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