Elantris
baute sich erwartungsvoll vor ihm auf.
Galladon blickte zu ihm empor. »Was?«
»Ich brauche Eure Hilfe, Galladon«, sagte Raoden und hockte sich vor den Stufen auf den Boden.
Galladon schnaubte verächtlich. »Ihr seid in Elantris, Sule. So etwas wie Hilfe gibt es hier nicht. Hier werdet Ihr bloß Schmerzen, Wahnsinn und Unmengen Dreck finden.«
»Es klingt fast, als würdet Ihr das glauben.«
»Ihr seid an den Falschen geraten, Sule.«
»Ihr seid der einzige Mensch hier drinnen, der nicht im Koma liegt und mich nicht angegriffen hat«, sagte Raoden. »Eure Taten sprechen viel überzeugender als Eure Worte.«
»Vielleicht habe ich nur nicht versucht, Euch wehzutun, weil ich weiß, dass bei Euch nichts zu holen ist.«
»Das glaube ich nicht.«
Galladon vollführte ein »Ist mir doch egal, was Ihr glaubt«- Achselzucken und wandte sich ab, indem er sich gegen die Häuserwand lehnte und die Augen schloss.
»Habt Ihr Hunger, Galladon?«, erkundigte Raoden sich leise.
Der Mann schlug ruckartig die Augen auf.
»Ich habe mich immer gefragt, wann König Iadon die Elantrier mit Nahrung versorgt«, sinnierte Raoden. »Ich habe nie gehört, dass man Vorräte in die Stadt schafft, aber ich bin stets davon ausgegangen, dass welche geschickt werden. Schließlich, habe ich mir gesagt, sind die Elantrier immer noch am Leben. Es wollte mir einfach nicht in den Kopf. Wenn die Menschen in dieser Stadt ohne Herzschlag existieren können, kommen sie wahrscheinlich auch ohne Essen aus. Natürlich bedeutet das nicht, dass der Hunger je aufhört. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, war ich heißhungrig, und ich bin es immer noch. Dem Blick in den Augen meiner Angreifer nach zu schließen, würde ich darauf tippen, dass der Hunger mit der Zeit nur schlimmer wird.«
Raoden griff sich unter das schmutzbefleckte Opfergewand und zog etwas Schmales hervor, das er emporhielt, damit Galladon es sehen konnte. Ein Stück Trockenfleisch. Galladon öffnete die Augen vollständig, seine gelangweilte Miene spiegelte auf einmal Interesse wider. In seinen Augen war ein Glitzern - ein Hauch der gleichen Wildheit, die Raoden vorhin an den primitiven Kerlen beobachtet hatte. Es war kontrollierter, aber es war da. Zum ersten Mal wurde Raoden deutlich bewusst, wie sehr er auf den ersten Eindruck setzte, den der Dula bei ihm hinterlassen hatte.
»Woher habt Ihr das?«, wollte Galladon gedehnt wissen.
»Es ist aus meinem Korb gefallen, als die Priester mich hierher geführt haben. Also habe ich es mir unter die Schärpe gestopft. Wollt Ihr es nun haben oder nicht?«
Zunächst antwortete Galladon nicht. »Wieso sollte ich Euch nicht einfach angreifen und es Euch wegnehmen?« Die Worte waren nicht rein theoretisch gesprochen. Ihm war anzusehen, dass ein Teil von ihm eine solche Handlungsweise tatsächlich in Erwägung zog. Es war nur noch nicht klar, wie groß dieser Teil war.
»Ihr habt mich >Sule< genannt, Galladon. Wie könntet Ihr jemanden umbringen, den Ihr als Freund bezeichnet habt?«
Galladon saß da wie gelähmt von dem winzigen Stück Fleisch. Ein kleiner Speicheltropfen lief ihm aus dem Mundwinkel, ohne dass er es bemerkt hätte. Er blickte zu Raoden empor, der immer nervöser wurde. Als sich ihre Blicke trafen, zuckte Galladon wie elektrisiert zusammen, und die Spannung fiel von ihm ab. Im nächsten Moment gab der Dula ein tiefes, schallendes Lachen von sich. »Ihr sprecht Duladenisch, Sule?«
»Nur ein paar Wörter«, räumte Raoden bescheiden ein.
»Ein gebildeter Mann? Reiche Gabe für Elantris am heutigen Tag! Na gut, verschlagener Rulo, was wollt Ihr also?«
»Dreißig Tage«, sagte Raoden. »Dreißig Tage lang werdet Ihr mich herumführen und mir erzählen, was Ihr wisst.«
»Dreißig Tage? Sule, Ihr seid kayana.«
»So wie ich das sehe«, meinte Raoden und machte Anstalten, sich das Fleisch wieder unter die Schärpe zu stecken, »gelangt die einzige Nahrung mit den Neuankömmlingen hierher. Da muss man doch ziemlich hungrig werden, bei so wenigen Opfergaben und so vielen hungrigen Mäulern. Man sollte meinen, der Hunger würde einen fast um den Verstand bringen.«
»Zwanzig Tage«, sagte Galladon, dem wieder eine Spur seiner vorherigen Leidenschaft anzusehen war.
»Dreißig, Galladon. Wenn Ihr mir nicht helft, wird es ein anderer tun.«
Einen Augenblick lang knirschte Galladon mit den Zähnen. »Rulo«, murmelte er und streckte die Hand aus. »Dreißig Tage. Glücklicherweise habe ich für den nächsten Monat sowieso keine größeren Reisen
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