Elben Drachen Schatten
verließen, um Bathranor, die Gestade der Erfüllten Hoffnung, zu suchen. Und abgesehen von ein paar Exzentrikern hatte niemand in Elbianas versucht, diese alten Totenriten wieder aufleben zu lassen, die man nur noch aus Geschichten und Legenden kannte. Und in diesen Geschichten waren diese Grabstätten zu Orten des Schreckens geworden, Orte, an denen finstere Mächte ihr Unwesen trieben, um die Lebenden in die Verzweiflung zu führen und die Toten vom Weg der Verklärung abzubringen, sodass sie niemals Eldrana erreichten, sondern als Maladran in der Sphäre der Verblassenden Schatten ein erbärmliches Dasein führten und dem endgültigen Vergessen entgegendämmerten.
Keandirs Vater Eandorn hatte seinem Sohn in dessen Jugend viele dieser Geschichten erzählt, und der Elbenkönig erinnerte sich, wie er sich dabei geschaudert hatte. Die gleiche Art von Schauder empfand er bei dieser kalt leuchtenden Gestalt, die sich auf seinen Ausruf hin noch etwas näherte. Aber eigenartigerweise klang die Stimme des Eldran dadurch keineswegs lauter oder waren seine Worte besser zu verstehen. Dafür war er besser zu erkennen; das Licht schien ihn nicht mehr ganz so grell zu umwabern, sodass Keandir auch das Gesicht sehen konnte. Und er erkannte es wieder.
»Merandil!«, stieß er hervor.
Es bestand kein Zweifel, er hatte Merandil den Hornbläser vor sich, aus dem später der erste Herzog von Nuranien geworden und der in der Schlacht an der Aratanischen Mauer gefallen war.
Der Eldran sprach erneut, doch wieder waren seine Worte nicht zu verstehen.
Da griff Merandil zu seinem Horn, das er am Riemen unter der Schulter trug, und als der ehemalige Herzog von Nuranien es an die Lippen nahm, wirkte es auf einmal wie aus purem grellem Licht. Ein Hornsignal ertönte. Es klang wie aus weiter Ferne, war aber doch eindeutig zu identifizieren.
»Es ist das Warnsignal!«, erkannte Mirgamir sofort.
Keandir nickte. »Fragt sich nur, wovor er uns warnen will.«
Die Eldran-Gestalt des Herzogs Merandil wurde auf einmal transparent, und die Intensität des Lichtflors, der ihn umgab oder vielleicht sogar seinen Geistkörper bildete, ließ nach. Für einen Moment waren seine unverständlichen Worte noch zu hören, dann sah man nur noch, wie sich seine Lippen bewegten.
Man konnte bereits durch ihn hindurchschauen, als ein Ruck seinen Astralleib durchfuhr. Er drehte sich im Sattel herum, so als befände sich hinter ihm jemand, der ihn gerufen hätte. Jemand, den weder Keandir noch irgendein anderer Elb sehen konnten, von den Zentauren ganz abgesehen, die den Eldran einfach nur als Lichtschemen sahen, da ihre Augen und anderen Sinne nicht so fein waren wie die der Elben.
Merandil lenkte sein Pferd herum. Dass er auf Zaumzeug völlig verzichtete, zeigte, dass die spirituelle Verbindung zwischen Pferd und Reiter bei den Eldran offenbar noch viel enger war als bei lebenden Elben. Er preschte zurück, jenen Hügel hinauf, auf dem Keandir ihn vorhin erblickt hatte, doch noch ehe er auf dessen Kuppe anlangte, verblasste er völlig und war verschwunden.
»Ein eigenartiges Land ist dies, in dem offenbar ein Krieg tobt zwischen Trorks und zurückgekehrten Eldran«, murmelte Keandir, verwirrt und ergriffen zugleich.
»Es scheinen tatsächlich die Geister unserer Toten zu sein, die offenbar ganze Gruppen von Trorks dazu veranlasst haben, in den Norden zu ziehen, um sich dort ein neues Land zu erobern«, meinte Siranodir. »Ich frage mich, ob die Jenseitigen wissen, was sie da tun.«
»Und ob sie es tatsächlich aus freiem Willen tun!«, ergänzte Keandir. »Da bin ich mir durchaus nicht sicher.«
»Ihr meint, jemand könnte es geschafft haben, die Eldran in seinen Bann zu zwingen?« Siranodir runzelte die Stirn. »Das müsste ein ganz besonders mächtiger Magier sein, sodass man eigentlich nur annehmen könnte, dass es sich um einen Elben handelt. Niemand sonst hätte Zugang zu dem traditionellen Wissen darüber, wie man Verbindungen zu anderen Sphären herstellt.«
»Bedenkt, dass der Axtherrscher, der zusammen mit seiner Gnomenbande die Zauberstäbe des Augenlosen Sehers aus Elbenhaven stahl, darüber durchaus sehr gut Bescheid wusste«, widersprach Keandir. »Ohne diese Fähigkeit hätte er es gar nicht geschafft, mit seinen Helfershelfern unbemerkt die Mauern Elbenhavens zu überwinden. Wahrscheinloch wäre er sogar schon an den Grenzen des Reichs aufgefallen und hätte sich ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen müssen.«
»Aber ich glaube
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