Elbenfürstin (Die Geschichte der Lilia Joerdis van Luzien) (German Edition)
Aber warum lag ich nicht in meinem Bett und wo war ich überhaupt? Bleierne
Müdigkeit blockierte vernünftige Informationen aus dem Gehirn. Die Augen ließen
sich auch nur widerspenstig öffnen. Aha, ich lag mit Kopf und Armen auf dem
Küchentisch, musste folglich über dem Buch eingeschlafen sein. So etwas
passierte mir sonst nie. Und dieser Traum über Licht und Finsternis und
ihren Kampf gegeneinander seit Anbeginn der Welt. Purer Fantasy-Stoff, darüber
ließe sich glatt ein ganzes Bu… Ich erstarrte mitsamt meinem Gedankengang
und weigerte mich, das Szenario in der Küche zur Kenntnis zu nehmen. Unmöglich,
dies musste immer noch ein Traum sein. Draußen herrschte tiefe Nacht, hier
drinnen brannte keine Lampe, aber um mich herum war Licht. Der Mond,
natürlich! Erleichtert über die simple Erklärung suchte ich den Nachthimmel
ab. Kein Mond. Ich bin nicht wach, ganz einfach. Und wenn doch? Dann
drehe ich jetzt ein klein wenig durch.
Es ist wahr.
Hatte ich das gedacht?
Nein.
Aufwachen!
Du bist erwacht.
Panik und Angst lieferten sich in Atem raubendem
Tempo ein Kopf-an-Kopf-Rennen, brachten den Küchenstuhl zu Fall, ließen erst
meine linke Schulter rücksichtslos gegen den Türrahmen krachen, wenige Schritte
später das linke Schienbein gegen die Bettkante. Mit kindlicher Naivität sprang
ich ins Bett und riss mir die Bettdecke bis über den Kopf. Dann flossen die
Tränen. Erst zaghaft, bis schließlich verzweifeltes Schluchzen meinen ganzen
Körper schüttelte. Irgendwann war alles Elend dieser Welt, insbesondere das
meinige, hinaus gespült und ich schlief ein. Den Strahl weißen Lichts,
gekommen, um über mich zu wachen, sah ich nicht erleuchten.
D röhnende Kopfschmerzen
begrüßten mich am sehr späten Vormittag. Welcher Tag ist heute? Wochentage, Geburtstage, Telefonnummern oder Adressen? Sämtlichst grundsätzlich
unterhalb meiner Aufmerksamkeitsschwelle angesiedelt. Tatsächlich gehörte ich
zu den Kandidaten, die ihre Geheimzahl in der Geldbörse aufbewahren mussten.
Ich kletterte aus dem Bett, um gewohnheitsgemäß erst Tee zu kochen, und
schlurfte danach ins Bad. Mein Spiegelbild präsentierte dick verquollene Augen.
Eine saftige Ohrfeige hätte mein Erinnerungsvermögen kaum effektiver wachrütteln
können. Ganz ruhig, tief durchatmen. Ich bin keineswegs verrückt,
sondern eine ganz normale Durchschnittsfrau im Durchschnittsalter mit
Durchschnittsgewicht, die vorzugsweise Jeans, Baumwollpullover und bequeme
Schuhe trägt. Lenk jetzt nicht vom Thema ab , protestierte mein Alter Ego.
Ratlosigkeit schwappte heran. Diese träge, anspruchslose Empfindung vermittelte
mir aus welchem Grund auch immer das Gefühl, mit den nackten Füßen fest auf den
kalten Fliesen zu stehen. Und wie lange, verdammt noch mal, wollte ich das
Summen in meinem Kopf ignorieren?
Was nun eigentlich, Summen oder Singen? Vorsichtig hörte ich genauer hin. Sphärisch schön, oh, aber unterirdisch schwer
zu beschreiben, was dieser klägliche Versuch verdeutlichen mag: Wie
Polarleuchten über dem samtroten Sonnenuntergang der Karibik, begleitet von
Kaskaden silbriger Sternschnuppen. Eine sanfte, vielschichtige, wärmende
Harmonie, zugleich traurige, sehnsüchtige Frauenstimmen. Eindeutig nicht von
dieser Welt. Höre ich Worte? Ganz gewiss erst in dem Moment, da sich die
Frage in meinem Kopf formulierte.
Lilia, fürchte dich nicht.
Wieso Lilia, wer bitte schön
ist Lilia? Also doch Stoff aus irgendeinem Spielfilm. Obwohl „fürchte
dich nicht“ mehr nach einem Psalm klang. Ja, ja, im Analysieren war ich
schon immer unschlagbar.
Du bist Lilia, Lilia Joerdis
van Luzien.
Nein, nein und nochmals
nein, und ganz sicher werde ich nicht, ich betone, nicht und niemals
wahnsinnig. Keine Fälle in der ausgestorbenen Familie bekannt, basta!
Die Wirkung meines
Wutausbruchs glich einem zerschnittenen Band. Gut so, Ruhe im Karton, Thema
erledigt. Ganz bewusst richtete ich meine volle Aufmerksamkeit auf stupides
Zähneputzen, Waschen und Anziehen. Energisch betrat ich die Küche, klappte das
Buch so zu, dass die Rückseite oben zu liegen kam, schnappte mir die Teetasse
und verschwand damit im Wohnzimmer. Plan A musste her, kurz und schmerzlos. Also:
Den Kopf bei einem Spaziergang zu Joschs Antiquariat gründlich durchpusten
lassen, das Buch zurückgeben. Fertig. Samstags machte Josch meist gegen 16
Uhr dicht, mithin war noch reichlich Zeit. Heute ist doch Samstag, oder? Ich ging in die Küche, um die Tasse aufzufüllen, und warf dabei
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