Elbenfürstin (Die Geschichte der Lilia Joerdis van Luzien) (German Edition)
sie
Schritt für Schritt.
Das Taschentuch versank langsam in der grützegrünen
Brühe. Wieso rufen die dämlichen Unken nicht? Unwillig erstarrte sie zur
Salzsäule, damit die glibberigen Viecher ihre Anwesenheit vergaßen, und zählte
im Kopf: … 46, 47, 48. Mit dem ersten Unkenruf brach ihr albtraumhafter
Wahnsinn als explosive Wucht eines Urschreis heraus: „Es gibt keine Göttinnen!“
Kapitel 1
„V erdammt, ich habe ja die
Margarine vergessen!“ Darf eine Geschichte wirklich so banal beginnen? Wenn sie
die reine Wahrheit erzählen soll, gibt es keine Gnade. Nochmals in die
winterliche Eiseskälte hinaus zu müssen war Strafe genug. Warum also nicht
wenigstens einen kleinen Abstecher in Joschs Antiquariat dranhängen? Vielleicht
wartete dort eine frische Ladung gebrauchter Bestseller, die für kleines Geld
meinen ständigen Hunger nach gedruckten Schwarten stillen würden.
Der Laden lag in einer kleinen Seitenstraße,
wo die Mieten günstig und Kunden rar waren. Josch glänzte, wie so oft, durch
Abwesenheit, weshalb neben der abgeschlossenen Kasse eine Blechbüchse stand. Zu
meiner großen Enttäuschung standen keine neuen Stöberkisten auf dem Boden. Das
Suchen in den bis unter die Decke vollgestopften Regalen hatte ich längst
aufgegeben. Josch behauptete zwar, die Bücher seien logisch einsortiert, aber
er vertrat auch sonst sehr spezielle Ansichten. Doch in diesem Moment vor die
Wahl gestellt, entweder den Rückweg durch den frostigen Berliner Winter
anzutreten oder im Warmen die Regale zu durchstöbern, fiel die Entscheidung
leicht. Entschlossen pfefferte ich meine Vermummung aus Mütze, Handschuhen,
Schal und Daunenjacke auf die kleine, abgewetzte Couch. Langsam suchend drehte
ich mich um die eigene Achse, seufzte resigniert und ließ mich erst einmal auf
die Couch plumpsen. Mein Blick folgte den Bücherreihen an der gegenüber
liegenden Wand nach oben. Unter der vergilbten Altbaudecke flatterten
dunkelgraue Spinnweben in der aufsteigenden Wärme. Was für Bücher stehen
dort oben eigentlich? Da gelangt doch niemand je hin!
Plötzlich erschien das Bild einer wunderschönen
alten Bibliothek vor meinen Augen, mit dunklen Holzleitern, die auf
unsichtbaren Schienen leise an den Regalen entlang rollten. Okay, hier und
jetzt nicht sehr hilfreich. Aber eine Leiter musste Josch dennoch irgendwo
haben. Sie stand, bekleckert mit diversen Farben, hinter dem Wandstück, das
wohl irgendwann einmal von einem abgeteilten Hinterzimmer übrig geblieben war.
Die Aluleiter wog zwar nicht sonderlich viel, hatte dafür aber die Größe XXL.
Die Stelle, an der ich beinahe mit dem Hinterteil des Monstrums in ein Regal
gekracht wäre, lasse ich hier lieber weg. Und natürlich wackelte die
ausgeklappte Leiter auf den ausgetretenen Holzdielen, als ich vorsichtig mit
dem Aufstieg begann. Argwöhnisch nahm ich zuerst mal die Spinnweben aus der
Nähe unter die Lupe. Kein vielbeiniges Ekelpaket in Sicht. Dafür drehten mir
uralte, muffig riechende Schinken ihre Rücken zu. Teils völlig zerfleddert,
ließen sich ihre Titel kaum noch entziffern. Das reichte. Meine Vorliebe für
Bücher beschränkte sich ganz klar auf solche Exemplare, deren vorheriger
Gebrauch kaum auffiel.
Der Abstieg aus stickiger Höhe gestaltete
sich spektakulärer als vorgesehen. Völlig darauf konzentriert, nach unten zu
schauen und die Leiter mit den Füßen nicht in Schwingung zu versetzen, verhakte
sich mein Ärmel. Der unerwartete Widerstand brachte erst mich, dann die Leiter
und wir gemeinsam das spillerige Bücherregal ins Wanken. Wo hätte ich mich auch
sonst reflexartig festklammern sollen? Luft schnappen und Holzknarren wurden
jäh von einem dumpfen Donnerschlag übertönt. Totenstille, ich wagte kaum mehr
zu atmen. Nichts, keine Bücherlawine.
Nach einer gefühlten Ewigkeit schaute ich vorsichtig
erst nach oben, dann auf den Dielenboden hinunter. Ächzend entwich die Luft aus
meiner Lunge, während mein Blick auf dem einen übergroßen Buch ruhte, das meine
Odyssee unfreiwillig rabiat zutage befördert hatte. Nein, die berechtigte
Frage, wieso aus einer vollgestopften Bücherreihe ein einzelnes Buch
herausfallen konnte, kam mir nicht in den Sinn. Mit zittrigen Beinen gelang der
Rückzug ohne weitere Zwischenfälle. Ich ließ die Leiter einfach stehen und ging
vor dem Buch in die Hocke. Merkwürdigerweise lag es überhaupt nicht wie nach
einem, wahrscheinlich falsch geschätzten, vier Meter tiefen Sturz da. Sondern
genau so, als sei es
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