Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
Mannes, dessen nackter Oberkörper bis auf den letzten Muskel durchtrainiert war –, aber sein Gesicht war das eines Raubtieres … eine Mischung aus Wolf und schwarzem Panther … mit riesigen Reißzähnen. Die Enden seiner Arme gingen in große, behaarte Klauen über mit zentimeterlangen Krallen.
»Ich soll dich Prinz nennen, dafür, dass du mein Volk geknechtet hast?«, fragte er mit einem animalischen Grollen in der Kehle. »Und ausgerechnet du wagst es, mich, Wargo, einen Verräter zu heißen? Lass sie augenblicklich frei, oder ich töte dich hier auf der Stelle.«
Ein Fauchen zerriss die Stille der Nacht, und schneller, als Svenya sehen konnte – also noch schneller als der Pfeil vorhin –, war Laurin nach vorne gehechtet und hatte die fast zehn Meter zwischen ihm und Wargo zurückgelegt, ihn an der Kehle gepackt und hielt ihn jetzt mit ausgestrecktem Arm hoch in der Luft. Auch er hatte plötzlich lange Reißzähne – die er aggressiv bleckte.
Reaktionsschnell wirbelte Raik, der Magier, die Spitze seines Stabes nach vorne, und ein roter Feuerblitz schoss daraus hervor – direkt auf Laurin zu. Doch der drehte sich nicht einmal zu ihm herum, während er den Stab mit einer knappen Geste seiner freien Hand ablenkte, hoch in die Luft, wo er Funken stiebend zerbarst.
Wargo versuchte, sich aus Laurins Griff zu befreien. Er knurrte und strampelte und schlug seine Klauen in Laurins Unterarm. Doch der zuckte nicht einmal.
»Ich kann nicht glauben, dass Elbenthal Knaben schickt, um die Aufgabe von Männern zu erledigen«, sagte Laurin spöttisch. »Ein Wunder, dass ihr euch auf diese Weise so lange gegen uns behaupten konntet. Aber alles hat einmal ein Ende.«
»Und dieses Mal ist es das deine, Laurin.« Wieder eine neue Stimme. Tiefer noch als die Laurins. Älter. Kraftvoller. Herrischer.
Svenya blinzelte. Ist das alles doch nur ein Traum?
Noch nie, nicht einmal zu Halloween oder in den übelsten Spelunken Dresdens hatte sie so viele fremdartig wirkende Männer an einem Ort versammelt erlebt – selbst ohne den mit der Raubtierfratze und den Reißzähnen mitzurechnen. Der zuletzt Aufgetauchte bildete da kaum eine Ausnahme. Er war so groß und hochgewachsen wie Laurin, wenn nicht gar ein paar Zentimeter größer und von mindestens ebenso stattlicher Erscheinung. Sein langes Haar war schlohweiß, aber seine Brauen und sein fein geschnittener Bart waren pechschwarz – so wie seine Augen. Das heißt das eine, das er noch hatte. Über dem rechten trug er eine Klappe aus rot gefärbtem Leder. In dem gleichen Rot schimmerte auch der stählerne und reich mit Silber verzierte Harnisch, den er unter einem weiten, nebelgrauen Umhang trug. An seinem breiten Gürtel hingen ein Schwert, das beinahe so lang war wie Svenya groß, und ein etwa zwei Fuß langer Dolch. In der rechten Faust hielt er einen recht unauffälligen, etwa eine Elle langen Stab. Trotz seines weißen Haars und der reiferen Stimme wirkte er keinen Tag älter als Laurin.
»Hagen!« Laurin stieß den Namen aus wie einen Fluch.
Die beiden Männer hatten eine gemeinsame Geschichte, und zwar keine erfreuliche, so viel konnte Svenya allein schon an ihren hasserfüllten Blicken erkennen … und auch, dass das Auftauchen Hagens Laurin zumindest für einen Augenblick lang aus dem Konzept brachte. Dieses kurze Zögern reichte Wargo aus, um sich mit einer schnellen Drehung aus dem Haltegriff an seiner Kehle zu befreien.
Im nächsten Moment brach die Hölle los – und alles, was jetzt geschah, geschah gleichzeitig. Aber wie bereits bei dem Angriff auf den Wolf nahm Svenya alles ganz deutlich und wie in Zeitlupe wahr.
» Leiptr! «, rief Raik und schoss mit seinem hölzernen Stab einen weiteren flammenden Blitz ab – dieses Mal jedoch auf einen der beiden Begleiter Laurins. Der reagierte ebenso schnell wie zuvor Laurin und wehrte das Geschoss mit einer knappen Geste ab. Auch jetzt wieder wurde der Blitz abgelenkt und zischte harmlos in die Luft, wo er wie eine Silvesterrakete explodierte.
Wargo wiederum stürzte sich auf den zweiten der Begleiter – der keine Sekunde lang zögerte, ihm entgegenzuspringen. Dabei rutschte seine Kapuze nach hinten, und Svenya sah, dass auch er eine Art Werwolf zu sein schien. Mit einem lauten Knurren und gefletschten Hauern prallten die beiden mitten im Sprung aufeinander und begannen einen raubtierhaften Kampf.
Laurin zog unter seinem weiten Mantel ein Paar kunstvoll gearbeitete und mit Runen verzierte
Weitere Kostenlose Bücher