Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
als nach außen. Auf jeden Fall war Svenya erleichtert, als sie sah, wie der Wolf schnell wieder das Bewusstsein erlangte, seinen großen Kopf schüttelte und wieder auf die Beine sprang.
Im nächsten Moment stellten sich Wargo, der Wolf und Raik auf, um in den Kampf zwischen Hagen und Laurin einzugreifen.
»Zurück!«, donnerte Hagens Stimme, als er sah, was sie vorhatten. »Er gehört mir. Mir allein. Zu viele Jahrhunderte schon habe ich auf diesen Moment warten müssen.«
»Aber, Herr …«, begann Raik.
»Das ist ein Befehl, Raik!«, brüllte Hagen zwischen zwei Schlägen, mit denen er mühelos eine Serie von Schwerthieben abwehrte, ohne sich zu dem schlaksigen Magier umzudrehen oder ihn auch nur anzuschauen. All seine Konzentration war auf seinen Gegner gerichtet. »Kümmert euch um die Prinzessin.«
Raik lief zu Svenya und half ihr aus dem Netz. Sie rappelte sich auf und schlug die Hand zur Seite, mit der er ihr auf die Füße helfen wollte.
Nach einem schnellen Gegenangriff, den Laurin jedoch ebenso geschickt abwehrte, fügte Hagen hinzu: »Und falls ich unterliegen sollte, tötet sie.«
»Was?«, fragte Wargo ungläubig.
»Was?«, wunderte sich auch Raik.
»Sie darf auf keinen Fall dem Feind in die Hände fallen«, knurrte Hagen. »Ihr wisst, was davon abhängt.«
»Du willst mich um den Preis unseres Duells bringen?«, fragte Laurin spöttisch und machte zwei schnelle Sprünge zurück.
»Der Preis dieses Duells ist nicht die Prinzessin«, sagte Hagen und setzte ihm nach. »Der Preis ist die Ehre … oder der Tod.«
Laurin lachte zynisch auf und trat noch weiter nach hinten weg.
»Ich werde und will nie verstehen, wie jemand bereit sein kann, für etwas so Leeres wie Ehre zu kämpfen oder gar dafür zu sterben«, rief er. »Und genau dieser Irrwitz, sein Leben für nichts herzugeben, ist es, der schuld ist am Aussterben deiner Leute, Hagen.«
»Im Gegenteil«, widersprach Hagen und preschte nach vorne. »Der Glaube an den Sinn von Ehre und Recht hat unser Überleben überhaupt erst ermöglicht.«
Doch Laurin hörte ihm nicht länger zu. Mit einem eleganten gestreckten Rückwärtssalto sprang er vom Dach des Parkhauses in die Tiefe davon, begleitet von einem spöttisch amüsierten Lachen.
Und auch Svenya hatte sich entschlossen, nicht länger zuzuhören. Sie hatte den Moment, in dem Raik und Wargo abgelenkt waren durch das Duell der beiden Krieger, genutzt, die Beine in die Hand zu nehmen und das zu tun, was sie am besten konnte – fliehen.
4
Svenya rannte die Stufen des Treppenhauses nach unten. Sie ahnte, dass sie schnell sein musste, wenn sie diesen übermenschlichen Wesen entkommen wollte. Und sie war schnell. Verflucht schnell sogar. Schneller, als sie jemals zuvor in ihrem Leben gewesen war. Laufen war ihr schon immer leichtgefallen, aber heute war es irgendwie anders. Nicht einen Sekundenbruchteil lang musste sie sich darauf konzentrieren, wohin sie ihre Füße setzte, oder darauf achten, wie sie atmete, um nicht außer Puste zu geraten. Sie nahm zwei, drei und dann auf einmal auch sechs oder acht Stufen gleichzeitig, sprang seitlich über das Geländer auf die nächste Treppenflucht hinab – und das alles, ohne auch nur ein einziges Mal aus dem Tritt oder aus dem Rhythmus zu geraten.
Schon wenige Sekunden später hatte sie das Parkhaus verlassen und rannte hinüber zum Bahnhof. Die Straßen waren leer und verlassen. Niemand konnte sie sehen – das hieß aber auch, dass niemand hier war, der ihr helfen konnte. Doch wer sollte ihr auch helfen können gegen Wesen, die mit einem einzigen Sprung von einem Dach quer über die Straße auf das nächste springen konnten und die mit Stäben bewaffnet waren, die zu Speeren wurden oder magische Blitze schleuderten, oder aussahen und kämpften wie Werwölfe? Falls ihr das überhaupt jemand glauben würde.
Sie erreichte den Bahnhof – aber auch hier war niemand.
Wie spät es wohl sein mochte? Hatte die Kirchturmuhr nicht gerade eben erst zwölf geschlagen? Aber die Bahnsteige und Gleise waren so leer, als wäre es bereits drei Uhr am Morgen. Das heißt leer bis auf einen einzigen Zug, der schwach beleuchtet am anderen Ende der Gleise stand.
Svenya hetzte hinüber und schaute sich dabei immer wieder um, ob ihre Verfolger ihr schon auf den Fersen waren. Bei dem Zug angekommen, öffnete sie hastig eine der Türen und kletterte hinein. Aber auch hier war keine Menschenseele. Sie suchte sich einen Platz in der Ecke und duckte sich
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