Elbenzorn
dunklen Fläche ihres Gesichtes leuchteten.
»Gut«, sagte Iviidis. »Ich werde sehen, was ich für dich herausfinde. Und du erzählst mir beizeiten, was du mit diesem Wissen vorhast!«
Statt einer Erwiderung riss ein plötzliches Gähnen Rutaauras Mund auf. Iviidis nahm ihren Arm. »Komm, Ruta. Dieses eine Mal: Bleib hier bei mir, schlafe in einem weichen Bett, und morgen stelle ich dich endlich meinem Mann vor. Das liegt mir schon so lange am Herzen!«
Rutaaura schüttelte den Kopf und zog die Kapuze über ihr helles Haar und tief ins Gesicht. »Nein, meine Schwester. Ich danke dir für das Angebot, aber ich möchte lieber gehen. Außerdem wartet mein Pferd auf mich.« Sie lächelte, Iviidis sah das Blitzen ihrer Zähne. »Ich werde zur Zeit der Tänzerin wiederkommen. Glaubst du, dass du bis dahin wieder hier bist?«
Iviidis sah zur Mondsichel auf. »Wahrscheinlich. Ich nehme Indrekin mit. Der Junge wird im Sommerpalast zwar immer schrecklich verzogen, aber Glautas wird sich freuen.« Sie umarmte ihre Schwester und spürte den festen Druck der starken Arme um ihren Leib. Rutaaura roch würzig und frisch nach Holz und Wind, der über weites Land weht. Ein unerwartetes, fremdes Gefühl von Fernweh überfiel Iviidis mit klarer Schärfe und war gleich wieder fort.
»Bis zum Mond der Tänzerin«, sagte Rutaaura fast feierlich. Sie wandte sich um und verschmolz augenblicklich mit den schattigen Umrissen der Bäume und Büsche.
Iviidis lauschte, aber selbst ihre scharfen Ohren verrieten ihr nicht, welchen Weg ihre Schwester genommen hatte.
>Mit einem leisen Seufzer nahm sie Becher und Krug auf und wandte sich zum Haus. Das Geschirr klapperte leise, als sie zusammenzuckte, weil eine kleine, weiße Gestalt plötzlich hinter ihr aufgetaucht war und an ihrem Rock zupfte.
»Mama, ich hab’ Durst«, sagte Indrekin und blinzelte zu ihr hoch. Sie stellte die Becher ab und hob den Jungen auf den Arm. Seine bloßen Füße traten protestierend gegen ihren Bauch. »Lass mich runter«, forderte er.
Sie lachte, kitzelte ihn, bis er gluckste und aufhörte, sich zu sträuben, und trug ihn zum Haus. »Warum schläfst du nicht?«
»Da war ein dunkler Mann in meinem Zimmer«, murmelte er schläfrig.
Iviidis drückte ihn fest. »Möchtest du bei mir und Papa schlafen?«
Er nickte und schob den Daumen in den Mund. »Bei dir und Papa«, nuschelte er, schon halb wieder im Schlaf. Seine Lider senkten sich, und der helle Kopf sank an ihre Brust. Sie bettete ihn leise in das breite, niedrige Bett, neben ihren fest schlafenden Mann, bevor sie selbst aus ihren Kleidern und unter die spinnwebweiche Decke schlüpfte. Zärtlich strich sie über sein Haar. »Schlaf ruhig, mein Stern«, flüsterte sie in das spitze, rosige Ohr ihres Sohnes. »Es gibt keine dunklen Männer. Also träume süß.«
Andronee Mondauge, Verborgenes Licht
A ls Aiirata erkannte, dass es an der Zeit war, ging sie zu ihrem Mann Salvotaran, und er bereitete ihr ein Lager und rief nach der Heilkundigen, auf dass sie seiner Frau beistehe.
Die Heilkundige und die Freundinnen Aiiratas blieben drei Tage und drei Nächte an ihrer Seite, und endlich gebar sie ihr Kind. Salvotaran hörte ihren Schrei, und er hörte den Schrei des Kindes, und er lächelte. Aber dann hörte er, wie auch eine der Freundinnen aufschrie, und er vernahm den gebieterischen Ruf der Heilerin: ›Nehmt es und bringt es hinaus!‹ Und als er herbeilief und die Tücher beiseite schlug, die das Lager seiner Frau beschirmten, da sah er, wie Aiirata weinte und eine der Frauen ein verhülltes Bündel in ihren bebenden Händen hielt, als wäre es ein wildes Tier.
Sie streckte ihm das Bündel entgegen, er nahm es und schlug den Zipfel des Tuchs beiseite, der das Gesicht des Kindes verhüllte. Und wenn er erwartet hatte, Reißzähne und Dämonenaugen zu sehen, so war das, was er nun erblickte, noch weit schlimmer als seine ärgsten Befürchtungen. Er schrie auf und bedeckte eilig das schwarze Gesicht des Säuglings, aus dem ihm helle, uralte Augen entgegensahen.
Und während die Frauen sich um das Bett Aiiratas scharten und zu den Ewigen und Hellen beteten, rief er nach einer Dienerin und trug ihr auf, das Kind fortzubringen, damit das Unheil von seinem Haus abgewendet werde.
3
D as Schwarze Einhorn , Gasthof und Poststation in Schönweiler, war ein beliebter Treffpunkt für Reisende, die von den nördlich gelegenen Totenbergen und den Hochland-Grasebenen weiter in die Marschgebiete und zur Küste des
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