Elbenzorn
große Ehre, dem Wachdienst vor Kommandeur Horakins Quartier zugeteilt zu werden. Keine der Elben, auch nicht Broneete, hätte jemals zugegeben, dass sie sich dabei langweilte, aber dennoch zogen die ereignislosen Nachtstunden vor des Hauptmanns Tür sich ebenso in die Länge wie eine Wache vor dem gewöhnlichsten Schuppen mit Verpflegung oder Waffen.
Die junge Gardistin gähnte verstohlen und wagte es nach einem schnellen Seitenblick, ihre linke Schulter sacht den Türstock berühren zu lassen und mit einer unmerklich kleinen Seitwärts-Aufwärtsbewegung den leisen, aber hartnäckigen Juckreiz neben ihrem Schulterblatt zu lindern. Das schwere Leinen und die silbernen Tressen ihrer nachtblauen Jacke kratzten leise über den Holzbalken. Sie atmete kaum hörbar aus und stand wieder aufrecht, die Hände um den schwarzen Schaft des Speeres geschlossen, und spürte an ihrem Schenkel das Gewicht des kurzen Schwertes. Höfische Elben aus dem Sommerpalast, die sich in das Hauptquartier auf dem Gelände der Garde verirrten, ließen sich hin und wieder ihre Erheiterung darüber anmerken, dass der Kommandeur im Herzen des Wandernden Hains seine Gardisten in voller Montur vor allen möglichen Türen Wache halten ließ. Kommandeur Horakin ließ den Spott an sich abperlen. Er entstammte einem der ältesten und angesehensten Zweige des elbischen Militär-Adels, und seine ererbte Verachtung den höfischen Vettern gegenüber – vor allen Dingen, wenn sie sich ein Urteil über militärische Angelegenheiten anmaßten – kannte keine Grenzen.
Irgendwo weiter hinten stand ein Fenster zum Hof offen, durch das hin und wieder ein sachter Windhauch die stickige Luft in dem Gang zwar ein wenig auffrischte, aber keine wirkliche Kühlung brachte. Broneete hörte das Klirren von Zaumzeug und Stimmen, anscheinend war gerade eine der Patrouillen zurückgekehrt.
Der Lärm auf dem Hof verebbte wenig später, und auch im Gebäude selbst kehrte nach und nach nächtliche Ruhe ein. Broneete lauschte der Stille und ließ ihre Gedanken wandern. Als Elbin, die im Herzen des Hains aufgewachsen war, hatte sie sich an das erdrückende Gefühl der Mauern und Wände um sich herum erst gewöhnen müssen. Noch heute fiel ihr in warmen Nächten wie dieser das Atmen schwer, wenn sie sich innerhalb des Gebäudes befand. Sie dachte mit Sehnsucht an die lichtdurchfluteten, luftigen Wohnstätten ihrer Kindheit und Jugend zurück. Zwar hatte sie auf ihren Patrouillen gesehen, dass die Elben, die am Rande des Hains lebten, ebenfalls fest gebaute Häuser vorzogen, aber sie selbst konnte daran einfach keinen Geschmack finden.
Broneete lehnte ihren Speer gegen die rau verputzte Wand und hob den schweren dunklen Zopf an, um sich über den schweißfeuchten Hals zu wischen. Sie warf einen unschlüssigen Blick auf den Hocker, der neben der Tür stand. Der Kommandeur mochte zwar streng sein, aber er verlangte von seinen Gardisten nicht, dass sie die ganze Nacht strammstanden. Vielleicht sollte sie sich für ein paar Minuten ausruhen. Die ganze Nacht lag noch vor ihr, und ihre Füße schmerzten jetzt schon in der schwülen Wärme. Der Hocker war zweckmäßig hart und unbequem. Sie wollte nur ein wenig ihre Füße ausruhen, dann würde sie wieder aufstehen.
Die junge Elbin lehnte den Kopf gegen die Wand und bemühte sich, die Augen offen zu halten. Ein zartes Lüftchen fächelte ihre Wangen und streichelte sanft über ihre Augenlider. In der Ferne hörte sie ein leises, summendes Singen. Ihre Augen brannten mit einem Mal wie Feuer, und es drängte sie mit Macht, sie für eine kurze Weile zu schließen. Nur kurz, bis das Brennen aufhörte …
Es war vollkommen still. In der Dunkelheit des Ganges regte sich eine tiefere Dunkelheit, glitt ohne einen Laut heran, blieb vor der schlafenden Gardistin stehen. Eine aus Schatten gemachte Hand strich leicht über ihre Augen. Sie seufzte leise und fiel in eine tiefe Betäubung. Der Kopf sank ihr auf die Brust. Kein Lüftchen bewegte sich mehr. Mit einem wie durch Watte gedämpften Knarren schwang die Tür zum Quartier des Kommandeurs nach innen, verharrte einen Augenblick lang, in dem die Schwärze aus dem Gang in das Innere des Quartiers zu sickern schien, und schloss sich dann mit einem sachten Klicken.
Kommandeur Horakin erwachte mit einem Ruck und tastete als Erstes nach seinem Dolch, der immer griffbereit neben dem Bett lag, auch, wenn er sich in der Sicherheit seines Quartiers befand. Etwas hatte ihn geweckt, aber er wusste
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