Elbenzorn
dem Vize-Kommandeur dankbar für die Chance, die er ihr damit gab.
Eine lebhaft schwatzende Gruppe von Goldenen schritt an ihr vorbei und drängte sie dabei achtlos von dem grasbewachsenen Pfad ab. Broneete zerbiss einen saftigen Fluch zwischen den Zähnen und sah ihnen nach. Die Frauen, die Broneete vom Weg gefegt hatten, waren allesamt nach der neuesten Mode gekleidet, ihre weiten Röcke wippten bei jedem Schritt. Die leichten Unterröcke waren mit biegsamen Reifen aus Weidenruten verstärkt, und darüber bauschten sich farbenfroh mehrere Lagen geraffte und gerüschte Seidenstoffe, die ihre Trägerinnen aussehen ließen wie besonders hübsche Festzelte. Die Mieder dagegen lagen eng am Körper an und waren reich bestickt und über und über verziert mit geschliffenen Steinen, Federn und Blumen. Auch in die kunstvoll hochgesteckten Frisuren der Elbinnen war allerlei bunter Kram hineingeflochten.
Ihre männlichen Begleiter hatten sich offenbar bemüht, modisch nicht allzu sehr hinter ihren aufgeputzten Gespielinnen zurückzustehen. Ihre Beine steckten in eng anliegenden Kniehosen aus glänzender Seide, darüber trugen sie lange, schmal geschnittene Jacken mit breiten, farbig abgesetzten Ärmelaufschlägen und bunt bestickte Westen. Am Hals und vor der Brust bauschten sich in Falten gelegte und gerüschte Halsbinden und Hemdenkragen, und von den schneeweißen Hemdärmeln rieselten Spitzen bis über die Finger hinunter.
»Und obendrein auch noch Stockdegen«, murmelte Broneete angewidert, riss sich von dem Anblick los und trat vom Randstreifen wieder auf den Pfad zurück. Seitab erblickte sie zwischen den hochgewachsenen, glatt berindeten Baumstämmen die hellen Tücher und Wimpel des Zeltbaus, der wohl das Ziel der bunten Vögel war. Musik scholl zu ihr herüber, Gelächter und Stimmen. Broneete verspürte einen Anflug von Neid. Es war lange her, dass sie getanzt hatte, einfach nur unbeschwert gefeiert und sich vergnügt. Warum eigentlich? Sie konnte ihre freie Zeit nutzen, wie sie wollte, solange sie nur rechtzeitig, bevor das Tor geschlossen wurde, wieder im Hauptquartier war.
Sie kam an einer Gruppe von Hausbäumen vorüber. Hoch über ihrem Kopf schritten Elben über die schaukelnden Seilbrücken, die die Bäume miteinander verbanden. Die luftigen Wohnungen, deren Wände und Dächer aus geflochtenem, blühendem Gezweig bestanden, wiegten sich leise im Wind, und die gedämpfte Unterhaltung der Elben in den Baumwipfeln klang aus der Ferne an Broneetes Ohr. Da sie gedankenverloren stetig weitergegangen war, hatte sie inzwischen die Hohe Halle erreicht. Sie blieb einen Atemzug lang stehen, um sich an dem Anblick der majestätischsten Bäume des Wandernden Hains zu erfreuen. Broneete besuchte von Zeit zu Zeit das Zentrum des Sommerpalastes, doch es war ihr noch nie vergönnt gewesen, seinen innersten Ring zu betreten, da dort nur die adligen Mitglieder des Rates Zutritt hatten. Aber die Wandelgänge, die in sanften Kurven und Biegungen zur Haupthalle führten, und die meisten ihrer zahlreichen prachtvollen Säle waren der Öffentlichkeit zugänglich, und kaum ein Hainelbe ließ es sich nehmen, sich hin und wieder dort aufzuhalten, die kunstvollen Holzarbeiten der besten elbischen Handwerker und Baumsinger zu betrachten und sich am Spiel des Lichtes zu freuen, das durch das verwobene Geäst und die aufgespannten Tücher und Tüllschleier auf den weichen Moos- und Grasboden der Hohen Halle fiel.
Im Zentrum der Halle bedeckten Seidenteppiche den Boden, die aus den Steppen des fernen Maijipp-dan stammten, so erzählte man sich. Die Wände bestanden aus schweren Brokatstoffen, und nur an einigen geschickt gewählten Stellen hingen dünne Tüll- und Seidenschleier, die das Tageslicht einließen. Der hölzerne Doppelthron der Verlorenen Könige stand an der Südseite des runden Raumes, seine Lehnen waren mit Einlegearbeiten aus Perlmutt und Gold verziert, und der Baumsinger, der ihn geschaffen hatte, hatte den Apfelbaum, der den Thron formte, dazu gebracht, dass immer zur Zeit der erneuerten Herrschaft der Baldachin über den Häuptern des Königspaars voll mit reifen rotgoldenen Äpfeln hing. Broneete wünschte sich nichts mehr, als das einmal sehen zu dürfen – obwohl der Anblick sicherlich nicht ohne Traurigkeit war, gemahnte der leere Thron doch schmerzlich an die Verlorenen Könige des Elbenvolks.
Sie ermahnte sich, nicht herumzutrödeln. Glautas wohnte in der Nähe der Hohen Halle, und der Baumsinger, der sein
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