Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
Vom Netzwerk:
Domizil geschaffen hatte, hatte sich für den Obersten Tenttai besondere Mühe gegeben. Die schlanken Birken und Buchen, die den Bewahrer behüteten, wuchsen ebenmäßig und gerade in die Höhe und neigten sich nur in den Wipfeln anmutig ein wenig zur Mitte. Die Äste und Zweige der Bäume verflochten sich zu zierlichen Ornamenten, und das helle Laub filterte das Sonnenlicht in wunderbaren Gold- und Grüntönen.
    Broneete schritt zum Eingang, der heute auf der Ostseite des Baumringes gelegen war.
    Der Gardist, der auf Befehl des Vize-Kommandeurs vor dem Eingang Wache schob, nickte Broneete gelangweilt zu. Noch hatte sich die Aufregung über den Tod Kommandeur Horakins nicht wieder gelegt, und Vize-Kommandeur Vilius ließ alle Mitglieder des Rates und die obersten Hofbeamten von einer Leibwache begleiten.
    Broneete durchquerte den Eingangsbereich, der mit Matten ausgelegt und mit einigen festen Kissen möbliert war, und betrat den Gang, der in den offiziellen Teil des Baum-Hauses führte. Die Wände bestanden aus nüchternem Weidengeflecht, das nur wenig Licht einließ. Da ein heller Tag war, reichte aber der Anteil an Sonnenlicht, der von oben hereinfiel, um im Gang ein angenehmes grünliches Dämmerlicht zu schaffen.
    Sie schritt um die letzte Kurve und klatschte vor der papierbespannten Schiebetür von Glautas’ Büro leise in die Hände. »Herein«, erklang die flötengleiche Stimme von Glautas’ Gefährtin Zinaavija. Broneete verzog kurz das Gesicht, zwang sich dann zu einer höflichen Miene und trat, die Tür aufschiebend, ein. 
    »Ah, Broneete, wie gut, dass du kommst«, empfing die Bewahrerin sie herzlich. Zinaavija saß an dem kleinen Schreibtisch neben der Lichtöffnung, die auf eine Art Innenhof hinausblickte. Heute trug sie nicht die offizielle Robe, sondern war in schlichte, fließende Hausgewänder gekleidet, die ihre anmutige Figur mit hellen Farben umschmeichelten. Wie immer kam Broneete sich grob und ungehobelt neben ihr vor. Sie räusperte sich und legte die Faust zum militärischen Gruß an die Schulter. »H an-Ttai « , sagte sie steif.
    »Ach, sei doch nicht so förmlich, Broneete«, lachte die Bewahrerin. Sie spielte mit den zarten Silberkettchen, die von ihrem hübschen Ohr herabbaumelten. »Ich brauche deine Hilfe. Verstößt es gegen deine Soldatenehre, einen Botengang für mich zu erledigen? Die Bediensteten sind allesamt damit beschäftigt, die Gemächer für unseren Besuch herzurichten, und ich möchte keinen von der Arbeit abziehen.«
    »Ich stehe zur Verfügung«, erwiderte die Gardistin gezwungen. So freundlich sich Zinaavija ihr gegenüber auch zeigte, Broneete schaffte es einfach nicht, sie zu mögen.
    Ein Lächeln zuckte über die ebenmäßigen Züge der Bewahrerin. Falls es spöttisch war, verweilte es jedenfalls zu kurz auf dem schönen Gesicht, als dass Broneete es hätte deuten können. »Gut«, erwiderte Zinaavija sachlich. Sie griff nach dem Federkiel, streifte die überschüssige Tinte ab und schrieb noch einige Zeilen auf das halb beschriebene Blatt, das vor ihr auf dem Tisch lag. Mit einem schwungvollen Schnörkel setzte sie ihre Unterschrift darunter, schüttelte aus einer silbernen Dose ein wenig Sand über die feuchte Tinte und blickte zu Broneete auf. Das Licht, das durch die Öffnung fiel, fing sich in ihrem blonden Haar und brachte es zum Leuchten. »Diesen Brief bring bitte zu Ratsherr Nekiritan. Du weißt, wo du ihn findest?«
    Broneete bejahte, und die Bewahrerin schüttete den Sand ab und faltete den Bogen sorgsam zusammen. Sie versiegelte ihn und reichte ihn der Gardistin. »Du musst dich auf dem Rückweg nicht beeilen«, sagte sie freundlich. »Glautas wird dich heute nicht benötigen, also nimm dir ruhig ein wenig Zeit zum Bummeln. Es ist so ein schöner Tag!«
    Broneete verneigte sich zackig und ging zur Tür. »Danke«, rief Zinaavija ihr nach, und wieder glaubte Broneete, in der schönen Stimme einen spöttischen Ton vernommen zu haben. Wahrscheinlich war sie überaus ungerecht, Zinaavija behandelte sie schließlich immer sehr zuvorkommend. Aber bei den Ewigen – sie konnte die Sondiererin einfach nicht ausstehen! Glautas dagegen war ihr bei aller Zurückhaltung, die der Oberste Tenttai an den Tag legte, durchaus sympathisch.
    Zwei Dienerinnen kamen ihr entgegen, sie trugen einen offensichtlich schweren Korb mit einem Stapel höfischer Gewänder zwischen sich. Die kleinere der beiden, eine stämmige Frau mit einem fröhlichen runden Gesicht voller

Weitere Kostenlose Bücher