Elchmus (German Edition)
von Andrew macht das schon zwei, die nun auf sie warten. Die Aktion muss daher dringend abgebrochen werden. Trotz sommerlicher Temperaturen und der Tageszeit oder gerade deswegen.
„Ich geh jetzt mal nach Hause“, sagt Elke und versucht dabei das richtige Lächeln aufzusetzen, aber es gelingt ihr nicht. Doch das ist gerade egal, denn Mick hat sie die ganze Zeit gar nicht angesehen. Er ist voll wie eine schielende Strandhaubitze. Sie drückt ihm ihr immerhin leeres Glas in die Hand und geht zur mit Teppich ausgelegten Toilette im Lounge-Bereich und anschließend nicht für Nachschub für die nächste Runde zur Theke, sondern einfach nach Hause. Und das ohne zu bezahlen. Die auf der Theke liegende miefende Biermatte lächelt sie für diesen Nicht-Fauxpas ebenso bemitleidend an wie die eingestaubten Fußballfan-Utensilien an der Wand. Offenbar hat Elke keine Ahnung, dass man hier sein Bier sofort bezahlt.
Engländer sind immer in dem Alter, wo das sich Abfüllen in der Kneipe zum gesamten Leben dazugehört. Im Münsterland geht das ab einem bestimmten Alter nur noch auf Schützenfesten und anderen offiziellen Veranstaltungen. Und da macht man besser mit. Die Einrichtung hier hätte es ohne Probleme ins Münsterland geschafft. Ist eine echte Ernst-Meier Vorzeigekneipe.
Als getarnter Alkoholtester hockt ein Billardtisch mitten im Raum. Ein guter breiter Stolperstein. Elke scannt den gesamten Raum. Hinten neben dem milchigen Fenster hängt eine Dartscheibe, die aber dank des rauchfreien Ambientes an Popularität eindeutig eingebüßt hat. Zumindest heute. Denn es spielt gerade keiner. Das Gute daran aber ist vielleicht, dass die Tür neben dem Fenster offen ist? Ja, sagt diese auch schon ermunternd zu ihr und ist letztlich wirklich ein Volltreffer für das perfekte unauffällige Verschwinden aus diesem Saufgelage.
Nach Hause, denkt Elke, nach Hause will ich. Läuft sie aber leider nicht. Der Büroturm vor ihrer Nase war heute Morgen noch nicht da. Und Canary Wharf Station ist auch weg. Elke steht an einer roten Fußgängerampel. Als einzige. Der Gedanke nämlich, dass die Autos von der falschen Seite kommen könnten, macht sie irre und könnte ihr Leben schon heute zu Ende bringen. Mit 22. Ganz klar und daher ist es besser auf grünes Licht zu warten. Sie lehnt sich erschöpft an den Ampelpfosten neben ihr und fühlt sich auf unangenehme Art beschwipst und orientierungslos. Was Herr Kessner wohl gerade macht? Sie versucht sich vorzustellen, wie sie ihn zu Hause anruft, wie sein Telefon klingelt und...
W eiter kommt sie mit ihren Gedanken nicht, denn es wird endlich grün und Canary Wharf Station hat offenbar mitbekommen, dass sie sich verlaufen hat. Und denken und laufen gleichzeitig geht in diesem Zustand nicht mehr. Saxofon-Klänge empfangen sie laut, aber warm aus den Tiefen der U-Bahnstation, die mit einem Mal direkt vor ihr liegt.
Endlich in Bow mit der Docklands Light Railway angekommen sehen die Häuser vor ihr alle gleich aus. In jedem Land dasselbe und etwas, was sie schon in Deutschland bemängelt hat. Man hat ein Leben lang dieselbe Aussicht, wenn man Hausbesitzer ist. Das Bier rauscht laut durch ihre Adern. Als sie ihr Zimmerchen betritt, hat sie der Schlaf innerhalb von Sekunden gecatched. Sie ist sich ziemlich sicher, dass dies grammatikalisch falsch ist, schläft aber ein, wie der Rotstift im Deutschdiktat für den Musterschüler.
3
„Alk kann schaden“, sagt sie gerade voll spießig zu Mick. Grandioser erster Auftritt. Sozialer Einstieg vergeigt. Sie ist verkatert. Aber immerhin pünktlich im Büro. Ihr Atem riecht nach faulen Eiern. Mick lächelt ihr trotzdem zu. „Kannst du das auch auf Englisch sagen?“, fragt er ganz nett.
Elke hat Deutsch gesprochen und es gar nicht bemerkt. Ist noch nicht im Großraumbüro in der Fremde angekommen. Das hat immerhin Tageslicht. Auf Micks Bildschirm sind feiernde Kollegen zu sehen. Geburtstagsparty. Seine, sagt er, ganz stolz. Wie alt er wohl ist? Sie fragt lieber nicht. Alle Kollegen lachen, haben ein Pint in der Hand und prosten freundlich der Kamera zu. „Ich kann kein Bier mehr sehen“, merkt Elke dann doch auf Englisch an. Mick lacht. Er ist kalkweiß, trotz Augusthitze. Schwitzt leicht, findet sich aber trotzdem unwiderstehlich. Dazu kommt ein schlecht muffelndes Aftershave. Jo-Anne kommt gerade rein. Sie sieht frisch aus. Leicht angebräunt. Leute, ich war doch gestern nicht trinken. Ich war heute Morgen schon
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