Elchmus (German Edition)
einen Satz, den Herrn Kessner geschrieben hat. „Du kannst ja jederzeit wiederkommen“ und interpretiert ihn natürlich. Ist nun mal eine Frau. Sie sieht in ihn einen subtilen Hinweis darauf, dass es vielleicht doch noch eine gemeinsame Zukunft gibt. Für sie beide.
Sie sieht die Sonne auf sein Gesicht fallen. Es wirkt so noch schöner als sonst. Irgendwie weicher und auch jünger. Wenn sie jetzt die Wahl hätte, zwischen Herrn Kessner und London, müsste sie keine Sekunde überlegen. Sie muss endlich aufhören damit. Jetzt!
Sie blickt sich um, ob irgendjemand sie beobachtet hat, wie sie ihn mal wieder angeschmachtet hat. Gott sei Dank nicht, oder? Sie hat bislang mit niemanden im Kollegium über ihren Crush geredet. Und wird es auch nicht mehr tun. Die Kollegen haben ja auch nichts bemerkt. Sie ist ja jung und vernünftig genug, Herrn Kessner, den Ehemann und Chef, nicht öffentlich anzuhimmeln.
Elke sieht sich schon wieder selber an. Soeben hat ihr ein Kollege ein Foto via E-Mail geschickt. Von heute. Sie hat gar keine Augenringe mehr und kann ganz zufrieden sein. Auf der Skala von 1 bis 10 ist sie mehr im oberen Drittel. Findet sie.
Herr Kessner klatscht in die Hände. Und läutet damit praktisch das Ende des Arbeitstages ein. Und das Ende ihrer Liebe, äh Karriere in diesem Unternehmen. Elke fragt sich, ob sie alles richtig gemacht hat.
22. Das heißt, zwei Jahre war sie jetzt hier. Ein Elftel ihres Lebens. Herr Kessner schon 20 Jahre. Die Hälfte seines Lebens. Und in dieser Zeit hatte er nie eine Affäre. Zumindest im Büro. Was natürlich nicht heißt, dass er draußen neben dem Reihenendhaus keine hatte.
Elke versucht sich Herrn Kessner mit 22 vorzustellen, aber schafft es nicht. Als er so alt war wie sie, war er schon verheiratet. Seine Frau war ein paar Mal bei Betriebsfeiern dabei. Elke hatte nie wirklich mit ihr gesprochen. Lediglich belanglose Worte getauscht. Mehr nicht. Vermutlich spricht auch Herrn Kessner kaum mit ihr. Er ist ja schließlich immer im Büro. Und zudem rund um die Uhr erreichbar. Dem Handy sei Dank. Und das in einem produzierenden Betrieb mit 24 Stunden Schichtdienst.
Herr Kessner hat auch eine Tochter. Die ist fast so alt wie sie. Schon 20. Und hat auch ein Handy. Und auch schon einen Sohn. Trotz Handy. Gerade geboren. Die Kessners sterben nicht aus. Soviel ist klar. Die Welt geht immer weiter. Herr Kessner steht nach wie vor vor ihr und allen anderen und redet. Sein Mund geht auf und ab. Auf und ab. Sie sitzt noch immer an ihrem Schreibtisch und starrt ihn an, hört aber nichts...
Frau Mersmann tickt sie kurz an. Von hinten. Holt sie zurück in die Gegenwart. Befördert sie in das jetzt und hier. Sie hat das hier nicht mehr unter Kontrolle und bricht fast in Tränen aus. Aber nur fast.
Herr Kessner geht als erstes. Schluss. Aus. Feierabend. Klappe zu, Affe tot.
2
Malcolm sagte gerade tatsächlich „And we welcome Elkie Summer in our team“. Ein schöner Name mit der englischen Betonung, denkt Elke leise. Er ruft nach Ruhm. Nach Ruhm ohne Bürostress, und mit Sharon Tate.
Das kleine Elkchen, der Elk, Elki, Elkidelki, die Nelke. All dies waren Namen, denen ihr die Eltern und andere aus der lieben Verwandtschaft im Laufe ihres Lebens gegeben hatten und den eigentlichen Namen damit nur noch schlimmer gemacht. Elke heißt hier auf der Insel Elkie. Und Summer heißt hier Sammer. Wie der Sommer. Und Elkie Summer klingt einfach glamourös. Und schon alleine deswegen wird sie hier eine gute Zeit haben.
Alle neuen Kollegen haben sich in Malcolms Mini-Büro, ein durch eine Glasfront mit Lamellenvorhang abgetrennter Raum, versammelt, das direkt neben der Kopier- und Druckstation, der sogenannten Insel, im Büro liegt. Die Balearen sehen aber anders aus. An der Wand hängt nichts. Es gibt keine Blumen, nicht mal welche aus Plastik. Keine Fotos. Nur ein paar metallfarbene Swinger-Stühle, auf denen sich ihre neuen Kollegen lümmeln. Willkommen im Land der Bürohengste.
Sie lächelte säuerlich. Allerdings war der Ausblick über die Stadt wirklich mehr als beeindruckend. Echt eine Wahnsinnskulisse, die der blinkende Turm da bot. Der Schreibtisch war riesig und der Ledersessel dahinter noch gewaltiger. Elke denkt an Herrn Kessner und das hier keiner der männlichen Kollegen auch nur annähernd so gut aussieht wie er. „Du kannst ja jederzeit wiederkommen“, bohrt sich in ihr Gehirn ein. Mal wieder . Der Spruch
Weitere Kostenlose Bücher