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Eldorin – Das verborgene Land (German Edition)

Eldorin – Das verborgene Land (German Edition)

Titel: Eldorin – Das verborgene Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Wohlrab
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so unheilbringend wirkte. Sie lief quer über
sein Gesicht und zog ein Augenlid so nach unten, dass er dieses Auge nur halb
öffnen konnte. Er packte den Jungen, zog ihn hoch und warf ihn, als wöge er
fast nichts, über seine Schulter. Rasch trat er mit seiner Last unter das
breite, schützende Vordach des Hauses, wo er sich Mayas Blicken entzog, denn
von ihrem Fenster im ersten Stock aus war dieser schräg unter ihr gelegene Teil
nicht einsehbar. Sie vermutete, dass der Ankömmling nach der Herrin des Hauses,
Frau Säuerlich, klingelte. Die Leiterin des Kinderheims war eine große, recht
grob aussehende Person mit einem Schwabbelkinn (es waren eigentlich drei Stück,
hatte Maya gezählt), und spitzer Nase, die sie liebend gern in fremde
Angelegenheiten steckte. Ihren stahlgrauen Augen entging nichts, und sie
verzieh nichts.
    Maya wartete bibbernd eine Weile und fragte
sich, wie lange sie wohl in der Kälte ausharren musste, bis abermals etwas
geschah, doch schon nach kurzer Zeit erschien der Mann ohne den Jungen, schwang
sich auf sein Pferd und galoppierte davon.
    Sie vermutete, dass der Neue in den Schlafsaal
der Jungen am anderen Ende des Ganges gebracht werden würde, und sie kroch
rasch in ihr Bett zurück. Falls sie am Fenster ertappt worden wäre, hätte das
ziemlichen Ärger gegeben. Überhaupt schätzte die Heimleiterin nichts mehr als
einen straff durchorganisierten Tagesablauf, wie sie es nannte, ohne
Belästigung durch ihre Schützlinge und ohne unliebsame Überraschungen. Zu den
unliebsamen Überraschungen zählten ohne Zweifel auch geheimnisvolle Reiter, die
geheimnisvolle Jungen ablieferten. Maya war gespannt auf den kommenden Tag und
wickelte sich in ihre viel zu kurze Decke ein, in der Hoffnung, trotz der Kälte
und der bereits einsetzenden Morgendämmerung noch ein wenig Schlaf
abzubekommen.

 
    Sie wurde geweckt durch den üblichen Weckruf.
Frau Säuerlich steckte ihre spitze Nase durch die Türöffnung und brüllte »LOS,
AUUUFSTEHEN!!«, dass der Putz von den Wänden fiel. Um sie herum tauchten
mehrere Haarschöpfe aus den Kissen auf. Maya zog sich ihres vor das Gesicht und
verharrte so eine Minute, bis ihr der nächtliche Besuch blitzartig wieder
einfiel. In hohem Bogen schleuderte sie ihr Kissen von sich und sprang
schwungvoll aus dem Bett, um sich sofort auf die Suche nach ihrer besten
Freundin zu begeben, der sie die Neuigkeit gleich mitteilen wollte. Aber Fiona
war schon im angrenzenden Waschraum verschwunden, wo sie wie immer den recht
aussichtslosen Versuch unternahm, ihr widerspenstiges, bis zur Taille
reichendes rotes Haar zu langen Zöpfen zu bändigen. Ab einer gewissen Haarlänge
waren Zöpfe Pflicht; Maya war gerade noch davongekommen.
    Das Badezimmer bestand aus einer Reihe
Waschbecken mit darüber hängenden Spiegelschränkchen und zwei abgeteilten
Toiletten. Die moosgrünen Fliesen waren teilweise ausgetauscht und durch beige
marmorierte ersetzt worden. Irgendjemand hatte versucht, die Wände mit kitschig
bunten Aufklebeblümchen etwas freundlicher zu gestalten.
    Es herrschte ein ziemliches Gedränge, da für
fünfzehn Mädchen lediglich dreizehn Waschbecken vorhanden waren. Rasch suchte
sie ihre Sachen zusammen und quetschte sich neben Fiona, um sich mit ihr ein
Becken zu teilen. Zu ihrer linken Seite warf ihr Beatrice einen genervten Blick
zu und betastete dann wieder betrübt einen dicken Pickel, der auf ihrer Stirn
blühte.
    »Heute Nacht ist ein Neuer gekommen«, flüsterte
Maya ihrer Freundin zu.
    »Hmpf?«, nuschelte Fiona mit der Zahnbürste und
viel Schaum im Mund, »habi garned midgegrichd.«
    Energisch klatschte sich Maya den nassen
Waschlappen ins Gesicht. »Kein Wunder, da hast du ja geschlafen, und er wurde
von einem unheimlichen Reiter auf einem riesengroßen schwarzen Pferd gebracht.«
    Fiona riss erstaunt die grüngrauen Augen auf.
»Maxddu Widze? Ein Reidä? Werreideddenn bei unsch noch?«
    Die Frage war berechtigt. Zwar gab es kräftige
Bauernpferde in der Umgebung, die zur Arbeit auf den steilen Bergwiesen und in
den Wäldern herangezogen wurden – schließlich lag das Heim sehr ländlich
am Fuß eines Gebirgsausläufers. Doch ein Reiter war etwas Außergewöhnliches.
    Maya zuckte die Schultern. »Ich würd’ auch
lieber reiten als Auto fahren. Wobei jemand schon echt schräg drauf sein muss,
bei so einem Unwetter mit dem Pferd unterwegs zu sein.«
    Sie runzelte in Erinnerung an die beiden Fremden
die Stirn. »Etwas war seltsam an ihnen. Sie sahen aus wie

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