Eldorin – Das verborgene Land (German Edition)
Hoppenreuth. In dieser Gegend gab es nicht einmal Mobilfunkempfang;
der Internetzugang war für die Schüler sowieso gesperrt. Dafür lag das Heim
malerisch inmitten sanfter Hügel mit einem herrlichen Blick auf die Berge. Im Sommer
leuchtete der gelbe Raps auf den Feldern und die Wiesen waren bunt getupft mit
zarten Glockenblumen, Akeleien und Frauenschuh-Orchideen.
Jetzt, im Monat April, lag die Landschaft noch
wintermüde da. Der dunkle Nadelwald, der hinter dem verwilderten Garten begann,
hob sich kaum vom trostlosen Grau des Himmels ab. Der parkähnliche Garten wurde
von verschlungenen Wegen durchzogen und wäre sehr nach Mayas Geschmack gewesen
mit seinen schönen alten Eichen und den Blumenrabatten vor und hinter dem Haus.
Aber leider wurde kein Gärtner zur Pflege angestellt, weswegen der Garten trist
und verwahrlost wirkte. In den Beeten wucherte zwischen ein paar abgestorbenen
Stauden hartnäckig das Unkraut. Efeu hatte die letzten Margeriten erstickt und
manche Kastanie erobert. Er kroch über die Wege und schlang seine Ranken um
alles, was er erreichen konnte. Die Bäume streckten traurig ihre verdorrten
Zweige gegen den Himmel, und der Wind trieb die vom Herbst übrig gebliebenen
Blätter über den struppigen Rasen. Immerhin konnte man sich im Geäst der
knorrigen Eichen verkriechen und ungestört träumen.
Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass hinter
einer solch normalen Umgebung etwas ganz und gar Unnormales verborgen sein
könnte.
Heute konnte es Maya noch weniger abwarten als
sonst, dass endlich der Unterricht zu Ende ging. In Latein war sie allerdings
glatt weggedöst, was kein Wunder war, denn Herr Brandmüller, ein blasser,
leicht zerknittert aussehender älterer Lehrer, hob sich mit seiner Vorliebe für
braune Anzüge kaum von der übrigen Klassenzimmereinrichtung ab. So konnte man
ihn, wenn man sich die Finger in die Ohren steckte, mühelos ausblenden.
Gegen Ende der letzten Unterrichtsstunde war
Maya wieder hellwach und zappelte auf ihrem Stuhl herum, weil sie so schnell
wie möglich Max wegen des fremden Jungen befragen wollte. Der Reiter hatte so
unwirklich ausgesehen, als hätte er sich aus einer fremden Welt hierher verirrt
– der Sache wollte sie unbedingt auf den Grund gehen. Max ging in die
Klasse der Zwölf- bis Vierzehnjährigen und saß im Zimmer nebenan seine Zeit ab.
Weil es zu wenige gleichaltrige Heimkinder gab, musste man mehrere
Schülerjahrgänge zu einer Klasse zusammenfügen. Maya war heilfroh darüber, denn
sonst hätte sie nur mit der fünf Monate älteren Fiona eine Klasse besucht und
sie wären im Unterricht ständig drangenommen worden. Sie selbst gehörte zur
Gruppe der fünfzehn- bis siebzehnjährigen Schüler.
Als die sechste Stunde endlich vorbei war,
stopfte Maya rasch ihre Sachen in die Büchertasche und trieb ihre Freundin zur
Eile an.
»Los, Fiona, mach schnell, wir treffen uns
gleich mit Max unter der Eiche, ich hab’s beim Frühstück mit ihm ausgemacht.«
»Hat er was gewusst?«
»Ich hatte keine Gelegenheit, ihn was Genaues zu
fragen.«
Die Mädchen schlüpften in ihre Jacken und banden
sich einen Schal um, denn draußen wehte ein eisiger Nordwind. Allerdings hatte
es aufgehört zu regnen.
»Wo bleibt bloß Max?« Maya schwang sich auf den
untersten Ast der Eiche. »Er ist doch sonst immer als Erster aus seinem
Klassenzimmer draußen.«
»Da!« Fiona deutete nach links.
»Sorry«, keuchte Max, »mir ist mein Füller
ausgelaufen, und ich hatte deswegen Stress mit Andi.« Andi war Max’
Banknachbar. »Warum ist Andi sauer, wenn dein Füller ausläuft?«, wunderte sich
Fiona.
»Na, weil er über ihm ausgelaufen ist.«
Maya überlegte kurz. »Hast du ihm nicht erst
vorgestern den Globus auf den Fuß fallen lassen? Der Arme … erstaunlich, dass
er noch neben dir zu sitzen wagt.« Ein bisschen verlegen kam sie auf den Grund
ihres Treffens zu sprechen. »Was ist nun mit dem Jungen, den ich heute Nacht
gesehen habe? Und hat er was über diesen gruseligen Mann erzählt?«
»Ach, der kam heute früh in unseren Schlafsaal,
also, nicht der Mann, sondern der Junge. Die Säuerlich und die
Pralinenschachtel haben ‘ne alte Matratze für ihn hinten in die Ecke
geschleppt, dabei haben sie mein Bett gerammt. Ich wäre vor Schreck fast
rausgefallen, ich hab gedacht, es gibt ein Erdbeben.« Max lachte spitzbübisch
und rollte mit den Augen. »Und die Pralinenschachtel hatte ein Nachthemd an, da
waren lauter bunte Teddybären drauf. Das
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