Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
weiter zu Jadora und Maél, die bereits im Sattel saßen und mal wieder lebhaft über irgendetwas diskutierten. Als die beiden Männer sie herannahen sahen, verstummten sie sofort. Maél starrte grinsend auf ihren Kopf. Eine ihrer störrischen, roten Haarsträhnen hatte sich im Schlaf aus dem Tuch befreit und leuchtete in das Halbdunkel des anbrechenden Tages hinein, wie eine kleine Flamme. Verärgert stopfte sie sie hektisch unter das Kopftuch. „Bei wem soll ich mit aufsitzen?“, fragte sie etwas ungehalten. „Das dürft Ihr entscheiden“, antwortete Maél. „Wie großzügig von Euch! Wenn das so ist, dann ziehe ich es vor, mit Jadora zu reiten“, erwiderte sie schnippisch. Jadora streckte ihr die Hand entgegen, während sich auf Maéls Lippen ein amüsiertes Lächeln stahl. „Gebt mir Eure Hand! Ihr seid jetzt, glaube ich, kräftig genug, um hinter mir zu sitzen.“
Elea reichte ihm zögernd die Hand und wurde von ihm auf das Pferd hoch gezogen. Sie wusste nicht so recht, ob sie sich über ihre neue Position freuen sollte. Einerseits wurde sie auf diese Weise nicht mehr so eng an die Brust des Reiters gedrückt. Andererseits fühlte sie sich aber viel sicherer, wenn sie fest gehalten wurde. Elea hatte nicht viel Zeit darüber nachzudenken, ob es nicht besser wäre, die neue Position zugunsten der alten wieder aufzugeben, da Maél sich bereits an die Spitze des Reitertrupps gesetzt und den Befehl zum Aufbruch gegeben hatte. Sie klammerte sich verkrampft an den Hauptmann und versuchte, gegen die hochsteigende Panik anzukämpfen, indem sie sich auf ihren Atem konzentrierte. Nach einer Weile hatte sie ihr Panikgefühl halbwegs unter Kontrolle. Sie lenkte sich ab, indem sie wieder einmal die an ihr vorüberziehende Landschaft betrachtete. Diese hatte jedoch nichts Neues zu bieten. Sie ritten nach wie vor durch eine steppenartige Ebene mit Sträuchern, Büschen und hohen Gräsern, deren monotones Bild von Zeit zu Zeit durch einen einsamen Baum – wie jener, an dem sie noch vor drei Tagen von Maél gehängt wurde - Abwechslung fand. Diese Einöde wirkte noch trostloser durch die charakteristischen Zeichen des Herbstes: Herabfallende Blätter wurden vom Wind haltlos durch die Luft gewirbelt und demonstrierten auf deprimierende Weise Elea die Vergänglichkeit der Natur.
Die Reiter waren schon ein ganzes Stück geritten, als es der Herbstsonne endlich gelang, sich durch die Wolken zu kämpfen. Ihre Sonnenstrahlen wärmten wohlig die Rücken der Reiter. Zur Belustigung von Elea flogen immer wieder einzelne Vögel oder Gruppen von ihnen um sie herum. Bisweilen zogen sogar größere Schwärme ihre Kreise über den Reitertrupp oder begleiteten sie ein Stück ihres Weges. Den Kriegern sah man deutlich ihr Unbehagen darüber an. Maél drehte sich von Zeit zu Zeit zu der jungen Frau um und bedachte sie mit einem misstrauischen Blick, den sie mit einem unschuldigen Lächeln erwiderte.
Als die Sonne bereits ihren höchsten Punkt überschritten hatte, gab Maél das Zeichen zum Anhalten. Endlich wurde eine Rast eingelegt, um sich zu stärken. Eleas leerer Magen machte sich schon eine ganze Zeit lang lautstark bemerkbar, worüber Jadora sich ständig amüsierte. „Wie kann der Magen einer so zarten Frau so laute Geräusche machen?!“
„ Ich bin es nun einmal gewohnt, gleich morgens nach dem Aufstehen reichlich zu essen. Dafür schlage ich mir vor dem Schlafengehen nicht mehr den Bauch so voll, wie Ihr es zu tun pflegt“, rechtfertigte sich Elea in beleidigtem Ton. Maél konnte sich über diese Worte erneut ein belustigtes Lächeln nicht verkneifen. Dies trieb Elea in ihrem derzeitigen ausgehungerten Zustand innerlich zur Weißglut.
Kaum hatte sie ihren letzten Bissen hinuntergeschluckt, gab Maél auch schon wieder das Zeichen zum Aufsitzen. Elea war gerade im Begriff, mit ihrem Rucksack zu Jadora und seinem Pferd zu gehen, als ihr Maél von hinten zurief: „Die letzte Wegstrecke für heute werdet Ihr mit mir vorlieb nehmen.“ Auch das noch! Elea drehte sich zu ihm um und wollte gerade zu einer spitzen Bemerkung ansetzen, als ihr das Blut in den Adern gefror. Vor ihr stand der maskierte, schwarze Reiter hoch über ihr auf seinem ebenso schwarzen Pferd. Dieser Anblick rief mit einem Schlag die albtraumhaften Ereignisse wieder in ihr Gedächtnis, als er sie durch den Wald gejagt und die ersten Tage misshandelt hatte. All das hatte sie anscheinend aufgrund der letzten unbeschwerten Tage völlig vergessen. Er kam langsam
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