Elefantengedaechtnis
des anderen verstehen, so daß es mir immer wie ein Wunder erschien, daß wir uns an dem Strand kennengelernt haben, an dem ich dich kennengelernt habe, mager, brünett, zerbrechlich, dein uraltes, ernstes Profil auf den angezogenen Knien ruhend, die Zigarette, die du rauchtest, das Bier (genauso eins wie dieses) auf der Bank an deiner Ferse, deine ewige Wachsamkeit, die der eines Tieres glich, deine vielen Silberringe an den Fingern, meine Frau seit jeher und meine einzige Frau, meine Lampe in der Dunkelheit, Abbild meiner Augen, Septembermeer, meine Liebe.
Und warum bloß, fragte er sich, während er die Gasbläschen beobachtete, die an der Wand des Glases klebten, warum bloß kann ich meine Liebe nur mit theatralischen Umschreibungen und Metaphern und Bildern ausdrücken, warum bemühe ich mich, alles zu schönen, Fransen an die Gefühle zu häkeln, die Leidenschaftlichkeit und Angst in die rührseligen Kadenzen des Fado in Moll zu gießen, eine hüftwackelnde, kitschige Seele à la Correia de Oliveira in Hirtenjacke, wo doch dies alles rein, klar, direkt ist, keine Verniedlichungen braucht, aufs Wesentliche reduziert ist wie eine Statue von Giacometti in einem leeren Saal und auf einfache Weise eloquent wie sie: Einer Statue Worte zu Füßen zu legen ist genauso überflüssig wie die Blumen, die man Toten gibt, oder ein Regentanz um einen vollen Brunnen: Scheiß auf mich und den honigsüßen Romantizismus, der in meinen Adern fließt, meine ewige Schwierigkeit, Worte hervorzubringen, die trocken und genau sind wie Steine. Er hob das Kinn, trank einen Schluck und ließ die Flüssigkeit langsam wie schwefliges Stearin in sich hineinrinnen, das ihm die Schlaffheit der Nerven durchrüttelte,
war sauer auf sich selber und wegen der Frauenkolumnenfalschheit, die sich in seinem Hirn einschrieb, Architekt seiner eigenen Geschmacksverirrungen trotz des Leitsatzes von van Gogh: Ich habe versucht, mit dem Rot und dem Grün die furchtbaren menschlichen Leidenschaften auszudrücken. Die brutale Einfachheit des Satzes des Malers hatte ihm eine Gänsehaut verursacht, wie es ihm passierte, wenn er das Requiem von Mozart oder das Saxophon von Lester Young in These Foolish Things hörte, das über die Musik strich wie wissende Hände über ein schlafendes Hinterteil.
Er bestellte noch ein Bier und bat den Kellner, der einem Freund des riesigen Kerls die Gründe für die Beschwerden gegen die Französischlehrerin seines Sohnes auseinandersetzte, um das Telefon und rief die Nummer an, die ihm das rotblonde Mädchen gegeben hatte und die er auf einem Stück aus der Missionszeitung herausgerissenem Papier notiert hatte: Er hörte neun- oder zehnmal den Freiton. Er legte auf und wählte noch einmal für den Fall, daß es einen Fehler bei den Magnetnadeln in den Kabeln der Telefongesellschaft gegeben hatte und daß die Marlene-Dietrich-Stimme ihm nun durch die kleinen Löcher im schwarzen Bakelit antworten würde, winzig und klar wie Pinocchios Grille. Schließlich streckte er dem Kellner das Telefon wieder hin.
– Ist die liebe Tante nicht im Haus? fragte dieser mit der ironischen Affektiertheit der Kapitäne der Alkoholschiffe, die für die lange Überfahrt durch die Nacht die Segel setzen.
– Vielleicht hat ja der Kongreß der Marientöchter länger gedauert, schlug der ruhige Kerl vor, der an Bord des vierten Gins ging und angefangen hatte, den Fußboden schief zu finden.
– Oder sie erklärt gerade im Katechismusunterricht die Beschneidung,
fügte der Freund hinzu, der zu der Sorte Leute gehörte, die nicht hintanstehen wollen und verzweifelt versuchen, mit den anderen Schritt zu halten.
– Oder sie scheißt auf mich, befand der Arzt zur Bierflasche, die darauf wartete, angebrochen zu werden. Einer der Vorzüge von Bars, dachte er, ist, daß man mit den Flaschenhälsen reden konnte, ohne Gefahr zu laufen, dumm aufzufallen oder Aufsehen zu erregen: Und plötzlich, innerhalb einer Sekunde, begriff er die Trinker, nicht technisch mit den das Außen und Innen betreffenden Erklärungen der Psychiatrie, die übertrieben genau und daher falsch waren, sondern aus dem Bauch heraus: ihren Wunsch zu fliehen, der so häufig auch seiner war.
Der Zeigefinger des Ruhigen berührte ihn mit überraschender Zartheit an der Schulter:
– Brüderchen, wir sind allein an Deck.
– Aber da warten die Mädchen des Tauchers in Singapur, fügte der Freund hinzu, damit ihm das Hauptfeld nicht davonfuhr.
Der Ruhige fixierte ihn mit der
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