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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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Schüchternheit, wenn sie mich anschauten, fühlte, wie ich errötete, kämpfte gegen den heftigen Wunsch, im Galopp zu verschwinden; als ich vierzehn oder fünfzehn Jahre alt war, nahmen sie mich das erste Mal zur Nummer einhundert in der Rua do Mundo mit, ich war nie zuvor nachts im Bairro Alto gewesen, in dieser Häufung enger Schatten und regloser Gestalten, und trat zugleich neugierig und verschreckt in das Bordell, und der bei Prüfungen übliche Drang, Pipi zu
machen, hinderte mich beim Gehen. Ich setzte mich in einen Spiegelsaal mit Stühlen neben eine Frau im Unterrock, die häkelte und nicht einmal das Kinn von den Nadeln hob, und vor einen älteren Mann, der, die Aktentasche auf den Knien, darauf wartete, daß er dran war (die Umrisse einer Thermoskanne mit dem Milchkaffee fürs Mittagessen zeichneten sich durch die Aktentasche ab), und plötzlich sah ich mich zum Erbrechen häufig in den geschliffenen Spiegeln wiedergegeben, zig ängstliche Ichs, die einander staunend und verschreckt ansahen: Natürlich schrumpfte mir der Pimmel in der Unterhose auf die Größe zusammen, die er hatte, wenn ich aus einem Bad in kaltem Wasser stieg, zu einer Harmonika aus schrumpliger Haut, die allerhöchstens schief pinkeln konnte, und ich verschwand im unterwürfigen Trott eines verstoßenen Hundes den Flur entlang zur Tür, wo die Puffmutter, deren Krampfadern aus den Pantoffeln quollen, mit einem betrunkenen Soldaten stritt, der mit einem von Erbrochenengelee bedeckten Stiefel über die Schwelle getreten war.
    Die Ampel schaltete auf Grün, und sofort hupte das Taxi hinter ihm herrisch. Warum zum Teufel sind die Taxichauffeure nur die sauersten Geschöpfe der Welt? fragte er sich. Und zugleich auch Männer ohne Gesicht, nur Nacken und Schultern, die wie Nägel aus der vorderen Sitzbank ragen, und hin und wieder mal ein leeres Augenpaar im kleinen Rückspiegelrechteck, Augen aus ausdruckslosem Glas wie das der Tiere in den Göpelwerken. Vielleicht bringt die Tatsache, daß sie den ganzen Tag mit dem Wagen in Lissabon herumfahren, die Leute in diesen Zustand einer explosiven Epilepsie, vielleicht ruft diese Stadt in denjenigen, die sie gezwungenermaßen in alle Richtungen durchqueren, Wut und Ekel hervor, vielleicht ist
diese mörderische Erregung nervlicher Gereiztheit dem Menschen eigen, und wir, die Höflichen, laufen hier herum und täuschen eine Freundlichkeit vor, die wir nicht besitzen. Er zeigte dem Chauffeur den Stinkefinger, der ihm seinerseits mit einer ausladenden obszönen Geste mit dem Arm antwortete, wie zwei Scouts, die sich gegenseitig mit Fahnen etwas zumorsen, und bog rechts in die João XXI ein, an deren Anfang linker Hand die Rückseiten rußiger Gebäude zu sehen waren, die ihm gefielen mit ihren wie die Warzen prekärer Nester hervorstehenden verglasten Balkons, auf denen man Bügelbretter und melancholische Hausfrauen erahnte. Cesário, mein Freund, sagte der Psychiater zärtlich, vergangene Woche habe ich etwas gesehen, das dir Freudenalexandriner in den Mund gezaubert hätte: Ich war auf der Suche nach einem Lokal, um dort zu Abend zu essen, und kam dicht an deiner beleuchteten Büste am rasenbewachsenen Straßenrand in Estefânia vorbei, wo man dich hingestellt hat, und sah dort eine alte, schwarzgekleidete Frau auf der Stufe der Statue mit einer Strohtasche sitzen und begriff da den Unterschied zwischen dir und Eça, welcher der gleiche ist, der die Umarmung einer steinernen Jungfrau und die Nähe eines lebendigen, der fleischlichen Festigkeit deiner Verse entrissenen Wesens trennt.
    Er fuhr durch eine Straße mit ihren in der Dunkelheit getaner Arbeit liegenden Auto- und anderen Werkstätten, an deren Ende sich die gelbe Markise einer Bar von Brasilianern befand (Die Portugiesen sind dumm, hatte der galicische Wasserverkäufer in der Geschichte meiner Mutter erklärt, wir sind hierhergekommen, um ihnen ihr eigenes Wasser zu verkaufen), und parkte bei einem Möbelladen, der die Ecke zwischen der Avenida Óscar Monteiro Torres und der Rua Augusto Gil
bildete und widerliche Kommoden und ovale Ölgemälde mit Blumen im Goldrahmen darbot. Ein Pastell, das einen Windhund vor dem Hintergrund einer Infantin von Velazquez zeigte, stand im Schaufenster, und der Hund schien das schlaue Lächeln zu lächeln, das einem ungeschickten Maler manchmal gelingt und wodurch sich das Fehlen von Begabung selbst verspottet, ohne sich dessen gewahr zu werden. Er schaute sich eine geraume Weile schreckensstarr einen

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