Elegie - Herr der Dunkelheit
Vater.«
»Aber was tun sie dort?«, überlegte Vorax laut.
In den wechselnden Bildern schritten ellylische Handwerker über die Rasenfläche, maßen sie aus und rechneten die Entfernung zu den Quellen nach. An allen vier Ecken des Tals wurden Banner aufgepflanzt, Standarten aus weißer Seide, die eine sanfte Brise leicht hob und die das Wappen von Elterrion dem Kühnen zeigten, eine goldene Krone über dem rubinroten Juwel der Souma in ihrer unversehrten Gestalt. Der Rabenspiegel plusterte sich auf und kreiste, dann zeigte er weiter, was sich ereignete.
Ein Mann kam geritten.
Das schwache Sonnenlicht des jungen Frühlings ließ sein Haar
glänzen, rot und golden. Ein fordernder Blick lag in seinen weit auseinanderstehenden Augen, seine Hände lagen ruhig auf den Zügeln, als er seinen kräftigen Falben vorantrieb. Tanaros fühlte Schwäche in sich aufsteigen, als er seiner ansichtig wurde.
Aracus Altorus.
Er war es, natürlich. Das war nicht zu leugnen, und es war auch nicht zu übersehen, dass die Königswürde über die vielen Generationen weitergegeben worden war, auch wenn es kein Königreich mehr gab. Es spielte keine Rolle, dass er keine Krone trug, dass sein Mantel von falbgrauer Farbe war, die ihm auf der Ebene von Curonan größtmögliche Tarnung bieten sollte. Er sah aus wie Roscus. Und gleichzeitig sah er auch aus wie Calista – Tanaros’ Frau – vor all den langen Jahren. Die Augen, die er zum letzten Mal gesehen hatte, als sie ihm schließlich glaubten. Wie hätte es auch anders sein können? Er war von ihrem Blut.
Und an seiner Seite ritt ein weiterer Mann, dunkelhaarig und ruhig, mit vernarbten Knöcheln. Im Gegensatz zu seinem Herrn war er sehr wachsam, sein strenger Blick strich über den Wald, als sie die Lichtung erreichten. Die Raben flogen höher, und der Blick verschob sich und wurde unscharf, als sie sich zurückzogen und in größerer Entfernung wieder niederließen.
Einst war auch Tanaros so geritten, an der rechten Seite seines Herrn.
Seltsam, dass er sich nur noch sehr ungenau an Roscus’ Gesicht im Augenblick seines Todes erinnerte. Ein wenig überrascht vielleicht. Ja, das war es. Roscus Altorus hatte überrascht ausgesehen, als er die Hand auf den Schwertgriff legte, der aus seinem Bauch ragte. Für etwas anderes war keine Zeit.
In dem aufgewühlten Rabenspiegel hielt Aracus Altorus im Tal von Lindanen an, und sein Oberster Ritter war an seiner Seite. Hinter ihnen saß eine kleine Abordnung der Grenzwacht auf ihren Rössern, schweigend und wartend in ihren fahlgrauen Mänteln.
Der Ellylfürst, der den Befehl führte, kam ihnen entgegen und verbeugte sich tief, eine anmutige und höfliche Geste. Aracus nahm den Gruß mit einem Nicken entgegen. Wer konnte sagen, was der
Ellyl dachte? In seinen Augen lag altes Leid und die Ruhe, mit der er sein Schicksal angenommen hatte. Er sprach mit dem verbannten König Altorias, sein Mund bewegte sich geräuschlos im Rabenspiegel, mit einem Arm machte er eine weit ausholende Bewegung, die das ganze Tal einschloss. Dort und dort, schien er zu sagen, und er zeigte hinüber zum Fluss.
Welch ein Unterschied war zwischen ihnen! Tanaros staunte. Neben der alterslosen Anmut des Ellylfürsten wirkte Aracus Altorus ungeschliffen und ungelenk, wie mit einem groben Messer geschnitzt und getrieben von der Kürze seiner Lebensspanne. Kein Wunder, dass Elterrions Enkeltochter Cerelinde sich über Generationen hinweg geweigert hatte, eine solche Verbindung einzugehen. Und dennoch … dennoch. Gerade in dieser Ungeschliffenheit lag eine gewisse Lebendigkeit, der Strom roten Blutes in den Adern, das Aufbegehren der Wollust in den Lenden, die lebendige Begierde des Fleisches.
Satoris’ Gabe der alten Zeit.
Es war jene Gabe, die den Ellylon versagt geblieben war, denn Haomane Erstgeborener hatte sie für seine Kinder abgelehnt, die vor dem Beginn der Zeit geschaffen worden waren und daher ihre Fessel nicht fühlten. Nur der Gedankenfürst kannte den Geist von Uru-Alat. Das schlüpfrige Drängen der Lust, der billige Wunsch, sich zu entladen, zu nehmen und genommen zu werden, Leben zu erschaffen mit ekstatischen Zuckungen, die dem Augenblick kurz vor dem Tode nicht unähnlich waren – das kannten die Ellylon nicht, die unberührt von der Zeit dahinlebten, alterslos und unverändert, wie der Gedankenfürst selbst.
Aber die Menschen kannten es.
Und deswegen hatten die Menschen die Gespaltene Welt erobert, während die Zahl der Ellylon schwand. Sie
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