Expedition ins Paradies
1. KAPITEL
Elizabeth nahm gerade die letzten Pinselstriche an dem Ölgemälde vom Ayers Rock vor, als ihr Vater den Kopf zur Ateliertür hereinsteckte. “Da ist jemand, der dich sprechen möchte, Liz.”
Etwas in seinem Ton ließ sie aufblicken. “Wer ist es?”
“Tom Scanlon.”
Der Pinsel glitt Elizabeth aus der Hand, und ihr schoss das Blut ins Gesicht. Dann erbleichte sie, und eisige Kälte breitete sich in ihr aus. Seit eineinhalb Jahren hatte sie von ihrem Exverlobten nichts mehr gehört. Und sie hatte geglaubt, er wäre für immer aus ihrem Leben verschwunden.
Es kostete sie Mühe, zu sprechen. “Schick ihn weg. Ich will ihn nicht sehen.”
Vorsichtig kam ihr Vater näher. “Aber er ist…”
“Sag ihm, ich hätte keine Zeit und könnte ihn nicht sehen.” Wie konnte Tom Scanlon es wagen, nach allem, was er ihr angetan hatte, plötzlich wieder bei ihr aufzukreuzen? Noch dazu unangemeldet! Dachte er etwa, sie würde ihn mit offenen Armen empfangen? “Nein, sag ihm lieber, ich wolle ihn nicht sehen. Weder jetzt noch irgendwann.”
“Wenn du nicht kommst, Liz, wird er hier einfach reinplatzen. Er scheint fest entschlossen zu sein, dich zu sprechen.”
“Und ich bin ebenso fest entschlossen, ihn nicht zu empfangen.”
Doch in Elizabeths Magen kribbelte es, und ihre Nerven flatterten. Warum kam Tom sie besuchen? Damals hatte er sie rücksichtslos verlassen, und das nur zwei Wochen, nachdem er ihr einen Heiratsantrag gemacht und ihr ewige Liebe geschworen hatte. Und warum wollte er sie unbedingt sprechen? Um festzustellen, ob sie auch ohne ihn auskam?
“Wenn du nicht mit ihm sprichst, Liebes, wirst du ständig darauf gefasst sein müssen, dass er dich irgendwo abzupassen versucht. Wenn du ihn nicht mehr sehen willst, sag’s ihm doch einfach.”
Zähneknirschend gab Elizabeth nach. “Also gut. Ich spreche mit ihm. Schick ihn rein, Charlie.
Ich gebe ihm eine Minute.” Seit sie und ihr Vater vor einem Jahr Geschäftspartner geworden waren - sie besaßen eine Kunstgalerie mit einem daran angeschlossenen Bilderrahmengeschäft - hatte Elizabeth sich angewöhnt, ihn “Charlie” statt “Dad” zu nennen.
Was hätte sie in den letzten eineinhalb Jahren ohne ihren Vater angefangen? Er hatte dafür gesorgt, dass sie stets gut beschäftigt war, er hatte sie aufgemuntert und dazu gebracht, nach vorn zu schauen, nicht zurück.
Und jetzt stand er ganz ruhig da und wollte ihr Tom Scanlon wieder schmackhaft machen!
“Gib ihm eine Chance, Liz”, bat Charlie. “Hör dir wenigstens an, was er dir zu sagen hat. Er kommt mir verändert vor. Da ist etwas in seiner Art…” Als Elizabeth ihn eisig ansah, zuckte ihr Vater die Schultern. “Also gut. Ich schicke ihn rein.” Er drehte sich um und wollte gehen, doch ehe er die Tür erreichte, erschien eine große Gestalt im Türrahmen.
“Hallo, Elizabeth.”
Vor ihr begann sich alles zu drehen. Ihr Herz pochte wie wahnsinnig, und ihre Beine fühlten sich plötzlich so schwach an, dass sie Halt suchend nach der Staffelei griff.
Tom Scanlon sah anders aus als vor eineinhalb Jahren. Auch damals war er groß, breitschultrig und kräftig gebaut, vielleicht sogar leicht übergewichtig gewesen. Doch jetzt sah er - Elizabeth musste erst einmal tief durchatmen - phantastisch aus: schlanker, drahtiger, gesünder, als sie ihn je gekannt hatte. Er musste inzwischen sechsunddreißig sein, wirkte jedoch bedeutend jünger.
Hatte seine neue Freundin das bewirkt?
In Elizabeths Augen erschien ein eisiger Glanz. Es war ein Fehler gewesen, Tom überhaupt vorzulassen, und sei es auch nur, um ihm zu sagen, dass er sie in Ruhe lassen solle. Jetzt lebten Empfindungen wieder auf, die sie längst für tot gehalten hatte.
Taktvoll versuchte ihr Vater, sich zurückzuziehen. “Ich lasse euch beide jetzt besser allein …”
“Du brauchst nicht zu gehen, Dad!” Ihre Stimme klang, wie Elizabeth fand, unnatürlich hoch.
Und das verräterische “Dad” war ihr1 auch wieder herausgerutscht. “Mr. Scanlon bleibt nicht.”
Kalt, mit zusammengekniffenen Augen, musterte sie den unerwünschten Besucher, und ein Schauer überlief sie.
Das war nicht der Tom Scanlon, den sie gekannt und geliebt hatte. Vor ihr stand ein Fremder -
ein glatt rasierter Fremder, der völlig anders aussah und eine neue, dynamische Ausstrahlung besaß. Wo waren der Bart und das ungebärdige lange Haar geblieben, das ihm über den Kragen und ins Gesicht gefallen war? Wo die verwaschenen Jeans und das
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