Elenium-Triologie
Rost.
Vanion genügte ein Blick. Er schauderte. »Für eine Verteidigung völlig unbrauchbar. Ich könnte es mit den Zehenspitzen eintreten. Steigen wir auf die Mauer hinauf, Sperber. Ich möchte diese Armeen sehen.«
Auf dem Wehrgang drängten sich die Bürger: Handwerker, Kaufleute, Händler und Tagelöhner. Es herrschte eine Art Festtagsstimmung unter der farbenprächtigen Menge, welche die näher kommende Armee begaffte.
»Paß doch auf, wen du schubst!« sagte ein Arbeiter streitsüchtig zu Sperber. »Wir hab'n das gleiche Recht wie ihr, zu schau'n.« Er roch übelkeiterregend nach billigem Bier.
»Geh und schau woanders, Nachbar«, riet Sperber ihm.
»Du kannst mich nicht rumkommandieren. Ich hab' meine Rechte!«
»Du möchtest dich umsehen?«
»Darum bin ich da.«
Sperber packte ihn vorn an seinem groben Kittel, hob ihn über die Brustwehr und ließ ihn fallen. Die Mauer war an dieser Stelle etwa vier Meter hoch, und der Atem zischte aus dem Mund des betrunkenen Arbeiters, als er auf dem Boden aufschlug. »Die heranmarschierende Armee ist in der Richtung, Nachbar«, rief Sperber freundlich hinunter. Er lehnte sich über die Brustwehr und deutete südwärts. »Wie wär's mit einem kleinen Spaziergang dorthin?«
Der betrunkene Arbeiter humpelte stöhnend zum Tor, zurück in die fragwürdige Sicherheit der Stadt, und auf dem Wehrgang wurde sofort Platz für die beiden Pandioner gemacht.
Vanion blickte den gemischten Streitkräften aus Cammoriern und Rendorern entgegen. »So habe ich es erhofft«, sagte er zu Sperber. »Der Hauptteil von Martels Streitkräften hat noch nicht aufgeschlossen, und ihr Vormarsch staut sich an den Brücken.« Er deutete auf die riesige Staubwolke, die im Süden aufstieg. »Er wird diese Männer frühestens kurz vor Anbruch der Dunkelheit hier haben. Ich bezweifle, daß er vor morgen mittag mit der Aufstellung fertig ist. Das gibt uns noch ein wenig Zeit. Gehen wir wieder hinunter.«
Sperber drehte sich um, seinem Hochmeister zu folgen, blieb dann jedoch abrupt stehen, denn eine prunkvolle Kutsche mit dem erhabenen Emblem der Kirche an den Seiten war soeben aus dem Südtor gerollt. Der Mönch auf dem Kutschbock hatte eine verdächtig vertraute Schulterhaltung. Kurz bevor die Kutsche westwärts abbog, blickte ein bärtiger Mann in der Soutane eines Patriarchen flüchtig aus dem Fenster. Die Kutsche war keine dreißig Fuß entfernt. So konnte Sperber den vermeintlichen Geistlichen im Innern des Wagens deutlich erkennen.
Es war Kurik.
Sperber fing zu fluchen an.
»Was ist los?« fragte Vanion.
»Ich werde ein längeres Gespräch mit Patriarch Emban führen müssen«, knirschte Sperber. »Das waren Kurik und Berit in der Kutsche.«
»Seid Ihr sicher?«
»Ich würde Kurik selbst in dunkler Nacht aus hundert Meter erkennen. Emban hatte kein Recht, die beiden derart in Gefahr zu bringen!«
»Jetzt ist es zu spät, etwas dagegen zu tun. Kommt mit, Sperber. Ich will mit Martel sprechen.«
»Martel?«
»Vielleicht verrät er uns vor Überraschung das eine oder andere. Denkt Ihr, er ist arrogant genug, daß er die Unterhändlerfahne ehren wird – und sei es nur, um zu zeigen, daß er momentan die Trümpfe in der Hand hat?«
Sperber nickte bedächtig. »Ja, ich denke, er würde sich ehrenhaft geben, selbst wenn er dafür durch Feuer schreiten müßte.«
»So in etwa schätze auch ich ihn ein. Dann wollen wir uns überzeugen, ob wir recht haben. Aber wenn Ihr Euch darauf einlaßt, Beleidigungen mit ihm auszutauschen, dann Vergeßt darüber nicht, die Augen offenzuhalten, Sperber. Der eigentliche Zweck unserer scheinbaren Unterhandlung ist schließlich ein Blick auf seine Armee aus nächster Nähe. Ich muß wissen, ob er lediglich irgendwelchen Pöbel auf Jahrmärkten und in Spelunken aufgesammelt oder erfahrene Kämpfer um sich geschart hat.«
Ein beschlagnahmtes Bettlaken – das Vanion dem eingeschüchterten Wirt allerdings bezahlen wollte, als Sperber es bereits von einem Gästebett zog – diente ihnen als Unterhändlerfahne. Sie flatterte und knallte an Sperbers Lanze, während die beiden Ritter in schwarzem Plattenpanzer durch das Südtor auf die anrückende Armee zudonnerten. Auf einem Hügel hielten sie an. Sperber drehte Faran ein wenig, so daß ihre behelfsmäßige Fahne deutlich sichtbar war. Obgleich sie sich noch in einiger Entfernung zur Vorhut von Martels Armee befanden, konnte Sperber ferne Rufe und Befehle hören. Die Reihen kamen allmählich zum Halten, und
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