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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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Queens tanzen gegangen, auf einer jener großen Veranstaltungen der American Legion, die auch Ralphs Clique immer besuchte, und als die Band »Easter Parade« spielte, drückte er sie, fast auf der Stelle verharrend, innig an sich und sang ihr mit flüsterndem Tenor ins Ohr. Daß Ralph so etwas tat – so etwas Zartes, Sanftes –, hätte sie nie und nimmer von ihm erwartet; vielleicht hatte sie in diesem Moment noch nicht be- schlossen, ihn zu heiraten, aber nachträglich kam es ihr so vor. Nachträglich hatte sie immer das Gefühl, daß die Entscheidung in dem Moment gefallen war, als sie sich zur Musik wiegten und sie seine rauchige Stimme im Haar spürte:
    »I'll be all in clover
And when they look you over
I'll be the proudest fella
In the Easter Parade ...«

    In jener Nacht hatte sie es Martha gesagt, und sie sah noch Marthas Gesichtsausdruck vor sich. »Aber Grace, das meinst du ... das meinst du doch wohl nicht im Ernst. Ich hab' die Geschichte eigentlich mehr oder weniger für einen Scherz gehalten ... du kannst doch nicht allen Ern- stes vorhaben...«
     »Sei still! Sei einfach still, Martha!« Danach hatte sie die ganze Nacht über geweint. Noch jetzt haßte sie Martha dafür; noch jetzt, als sie wie geistesabwesend die Akten- schränke an der Bürowand betrachtete, halb krank vor Angst, daß Martha recht hatte.
     Ein Kichern drang ihr plötzlich ans Ohr; sie fuhr zusammen und sah, daß zwei der Mädchen – Irene und Rose – hinter ihren Schreibmaschinen hervorgrinsten und mit dem Finger auf sie zeigten. »Erwi-hischt!« träl- lerte Irene. »Erwi-hischt! Wieder mal am Träumen, Grace, wie?« Rose parodierte eine in Träume Versunkene, ließ die dürftige Brust wogen und klimperte mit den Augen- deckeln; dann brachen die beiden in prustendes Lachen aus.
     Grace riß sich zusammen und setzte wieder das un- schuldige, offene Lächeln einer Braut auf. Es galt, sich auf die Pläne für morgen zu konzentrieren.
     Morgen vormittag, »in aller Frühe«, wie ihre Mutter immer sagte, würde sie sich mit Ralph an der Penn Sta- tion treffen, um zu ihren Eltern zu fahren. Um eins wür- den sie ankommen, und die Eltern würden sie vom Zug abholen. »Schön, dich zu sehen, Ralph!« würde ihr Vater sagen; ihre Mutter würde Ralph wahrscheinlich einen Kuß geben. Eine Welle von warmer, anheimelnder Liebe durchzog sie: die beiden würden Ralph bestimmt nicht als kleine, weiße Made bezeichnen, sie hatten nichts mit Princeton-Abgängern und »interessanten« Männern im Sinn, mit der Sorte von Männern, um die Martha immer so viel Wirbel machte, Thr Vater würde Ralph vermutlich zu einem Bier einladen und ihm die Papiermühle zeigen, in der er arbeitete (und auch Ralph würde bestimmt nicht die Nase rümpfen über jemand, der in einer Papier- mühle arbeitete), und am Abend würden dann Ralphs Familie und seine Freunde aus New York eintreffen.
     Später am Abend würde sie Zeit für ein langes Gespräch mit ihrer Mutter haben, und am nächsten Morgen, »in aller Frühe« (bei dem Gedanken an das offene, glückliche Gesicht ihrer Mutter brannten ihr die Augen), würden sie sich allmählich für die Hochzeit zurechtmachen. Dann die Kirche, die Trauung, anschließend der Empfang (würde sich ihr Vater betrinken? Würde Muriel Ketchel verärgert sein, weil sie keine Brautjungfer war?) und zu guter Letzt der Zug nach Atlantic City und das Hotel. Doch von da an kam sie mit ihren Planungen nicht wei- ter. Eine Tür würde sich hinter ihr schließen, ein aben- teuerliches, unwirkliches Schweigen würde folgen, und der nächste Schritt würde dann einzig und allein Ralphs Sache sein.
     »Na denn, Grace«, sagte Mr. Atwood, »ich wünsche Ihnen alles Glück dieser Erde.« Er stand in Hut und Man- tel vor ihrem Schreibtisch, um sie herum ertönte Stim- mengewirr, Stühle wurden nach hinten geschoben – es war siebzehn Uhr.
    »Danke, Mr. Atwood.« Kaum hatte sie sich erhoben,
    war sie umringt von ihren Kolleginnen, die sie mit Ab- schiedsgrüßen geradezu überschütteten.
     »Alles Gute, Grace.«
     »Schick uns 'ne Karte, Grace, ja? Aus Atlantic City.«
     »Tschüs, Grace.«
     »Schönen Abend, Grace, und noch mal: Alles, alles Gute.«
     Irgendwann war sie sie schließlich los, hatte den Fahr-
    stuhl und das Gebäude verlassen und eilte durch die Menschenmenge in Richtung U-Bahn.
     Als sie nach Hause kam, stand Martha in der Tür zur Kochnische; sie hatte ein flottes neues Kleid an und wirk- te darin sehr

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