Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
Dollar.« Sie sah ihn regelrecht vor sich, wie er bei den Worten »fünfzig Dollar« die Lip- pen mit einer Ernsthaftigkeit verzog, wie er's immer tat, wenn er eine namhafte Summe nannte.
»Tatsächlich? Wie schön, Ralph!« sagte sie; wenn in ihrer Stimme ein wenig Überdruß mitschwang, bekam er es nicht mit.
»Schön, ja?« sagte er lachend und äffte das Mädchen- hafte der Antwort nach. »Gefällt dir wohl, Gracie, wie? Nein, aber ich mein', das war 'ne echte Überraschung, verstehst du? Der Chef sagt: Hier, Ralph, und drückt mir 'nen Umschlag in die Hand. Hat nicht mal gelächelt dabei, und ich frag' mich noch, um was geht's eigentlich? Bin ich gefeuert, oder was? Da sagt er: Na los, Ralph, machen Sie schon auf. Ich mach' den Umschlag auf, dann guck' ich den Chef an, und da hat der 'n kilometer- breites Grinsen im Gesicht.« Er lachte in sich hinein und stieß einen Seufzer aus. »Na gut, Schatz. Wann soll ich heut abend kommen?«
»Hm, keine Ahnung. Am besten, sobald du kannst.«
»Na gut, paß auf; ich muß vorher noch zu Eddie und die Reisetasche abholen, die er mir ausleihen will; so- bald das erledigt ist, geh' ich nach Haus und ess' was, und dann war' ich so zwischen halb neun und neun bei dir. Okay?«
»In Ordnung«, sagte sie. »Bis dann, Liebling.« Sie nann- te ihn erst seit kurzem »Liebling« – seit unwiderruflich feststand, daß sie ihn trotz allem heiraten würde –, und das Wort hatte noch einen fremden Klang. Als sie ihr Schreibmaterial im Schreibtisch verstaute (sonst gab es nichts mehr zu tun), packte sie die übliche kleine Panik: sie konnte ihn nicht heiraten – sie kannte ihn ja nicht einmal richtig. Bei anderen Gelegenheiten wiederum hatte sie das Gefühl, sie könne ihn deswegen nicht heiraten, weil sie ihn allzu gut kannte; beides brachte sie heftig ins Wanken und machte sie anfällig für das, was Martha, ihre Mitbewohnerin, ihr von Anfang an gesagt hatte.
»Der ist ja ulkig«, hatte Martha nach ihrem ersten Tref- fen gesagt. »Er sagt ›Tolette‹. Ich kenne sonst keinen, der ›Tolette‹ sagt.« Und Grace hatte gekichert und nur zu ger- ne bestätigt, daß das ulkig sei. Damals hatte sie Martha in praktisch allem bereitwillig zugestimmt – ja, damals glaubte sie oft, ein Mädchen wie Martha über eine An- zeige in der Times zu finden, sei so ziemlich das größte Glück, das ihr je widerfahren war.
Doch Ralph hatte den ganzen Sommer über nicht lok- kergelassen, und im Herbst hatte sie sich langsam, aber sicher zu ihm bekannt. »Was gefällt dir denn nicht an ihm, Martha? Er ist doch absolut nett.«
»Ach, absolut nett ist jeder, Grace«, erwiderte Martha in ihrem College-Ton, so daß »absolut nett« wie etwas leicht Absurdes klang; sie lackierte sich gerade sorgfältig die Fingernägel und hob verärgert den Blick. »Das Problem ist bloß, er kommt mir vor wie so eine kleine ... wie so eine kleine weiße Made. Verstehst du?«
»Also ich versteh' nicht, was sein Aussehen damit ...«
»Du lieber Gott, du weißt doch, was ich meine. Ver- stehst du nicht, was ich damit sagen will? Ja, und dann seine Freunde, Eddie, Marty und George, mit ihrem arm- seligen, miesen Angestelltenleben und ihrem armseligen, miesen kleinen ... Die sind doch alle gleich, diese Typen. Das einzige, was sie sagen können, ist: Hey, was'n mit deinen Giants los? oder: Hey, was'n mit deinen Yankees los?, und dann wohnen sie alle irgendwo außerhalb, in Sunnyside oder Woodhaven oder in so einem gräßlichen Ort, und ihre Mütter haben diese scheußlichen kleinen Porzellanelefanten auf dem Kamin stehen.« Martha wand- te sich mißbilligend wieder ihren Fingernägeln zu und machte damit deutlich, daß das Thema erledigt war.
Den ganzen Herbst und Winter über war Grace durch- einander. Eine Weile versuchte sie, nur mit Marthas Sorte von Männern auszugehen – jener Sorte, die andauernd Ausdrücke wie »amüsant« im Mund führte und schmal- schultrige Flanellanzüge wie eine Uniform trug; dann wiederum versuchte sie eine Zeitlang, überhaupt nicht mit Männern auszugehen. Auf der Weihnachtsfeier der Firma hatte sie sich sogar auf diese verrückte Sache mit Mr. Atwood eingelassen. Und unterdessen hatte Ralph ständig angerufen, sie belagert und darauf gewartet, daß sie sich endlich entschied. Einmal fuhr sie mit ihm zu ihren Eltern nach Pennsylvania (wohin sie Martha im Traum nicht mitgenommen hätte), aber erst an Ostern gab sie schließlich nach.
Sie waren irgendwo in
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