Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
Abend vorbeikamen, war eine ausgestellt - eine schöne, große gelbbraune Gladstone-Tasche, die ein Seitenfach mit Reißverschluß hatte und neunund dreißig fünfundneunzig kostete –, und die hatte Ralph seit Ostern im Auge. »Ich glaub', die kauf ich«, hatte er Eddie eben- so beiläufig erklärt, wie er ein paar Tage zuvor seine Ver lobung verkündet hatte (»Ich glaub', ich werd' das Mäd- chen heiraten«). Eddies Antwort war beidemal die gleiche gewesen: »Spinnst du?« Und beidemal hatte Ralph erwi- dert: »Warum nicht?« und zur Verteidigung der Tasche hinzugefügt: »Wenn ich heirate, dann brauch' ich so was.« Von da an war es, als wäre die Tasche, fast ebensosehr wie Gracie, ein Symbol für das neue und üppigere Leben, das er anstrebte. Aber nach den Ausgaben für den Ring, die neuen Kleider und alles sonstige hatte er festgestellt, daß er sich die Tasche nicht leisten konnte; schließlich hatte er sich entschieden, die Reisetasche von Eddie zu borgen, die zwar ähnlich aussah, aber billiger und abge- nutzt war und bei der außerdem das Fach mit dem Reiß- verschluß fehlte.
Als sie nun am Lederwarengeschäft vorbeikamen, blieb Ralph, von einer leichtsinnigen Idee ergriffen, plötzlich stehen. »Hey, warte mal, Eddie. Weißt du, was ich mit der Fünfzig-Dollar-Zulage mach'? Ich glaub', ich kauf mir jetzt die Tasche da.« Er war regelrecht außer Atem.
»Spinnst du? Vierzig Dollar für 'ne Tasche, die du viel- leicht einmal im Jahr benutzt? Du bist ja verrückt, Ralph. Komm weiter.«
»Na ja ... ich weiß nicht. Meinst du?«
»Hör zu, Mann, behalt' dein Geld mal lieber. Wirst's noch brauchen.«
»Na ja ... okay«, sagte Ralph schließlich. »Wahrschein- lich hast du recht.« Er holte Eddie wieder ein, und sie marschierten weiter in Richtung U-Bahn. So gingen die Dinge in seinem Leben immer aus. Erst wenn er mehr verdiente, würde er sich eine derartige Tasche leisten können, aber er akzeptierte es; ebenso wie er es, nach dem ersten kleinen Seufzer, ohne weitere Frage akzeptiert hatte, daß er seine Braut wohl erst nach der Hochzeit besitzen würde.
Die U-Bahn verschluckte sie, trug sie in schaukelnder, besinnungsloser Trance eine halbe Stunde lang ratternd und dröhnend dahin, bis sie sie schließlich in den kühlen frühen Abend von Queens ausspie.
Sie zogen die Mäntel aus, lockerten die Krawatten und ließen sich, während sie weitergingen, vom leichten Wind die verschwitzten Hemden trocknen. »Und, wie isses?« fragte Eddie. »Wann sollen wir morgen in dem Pennsyl- vania-Nest auftauchen?«
»Oh, wann ihr wollt«, sagte Ralph. »Irgendwann am Abend ist okay.«
»Und hinterher? Was zum Teufel kannst du in so 'nem Kaff überhaupt anfangen?«
»Woher soll ich das wissen?« sagte Ralph abwehrend. »Wahrscheinlich rumhocken und quatschen; mit dem Alten von Gracie 'n Bier trinken oder so; keine Ahnung.«
»Meine Herrn«, sagte Eddie. »Und das am Wochen- ende. Echt toll.«
Den feuchten Mantel zusammengeknüllt in der Faust, blieb Ralph erbost auf dem Gehweg stehen. »Jetzt hör mal zu, du Arsch. Keiner zwingt dich zu kommen – weder dich noch Marty, noch George, noch sonst jemand. Daß das klar ist. Wegen mir brauchst du dir kein Bein auszu- reißen, kapiert?«
»Hey«, sagte Eddie. »Was'n los? Verstehst kein' Spaß mehr?«
»Spaß«, sagte Ralph. »Du mit deinen Spaßen.« Verdros- sen und den Tränen nahe tappte er hinter Eddie her.
Kurz darauf bogen sie zu dem Block ab, wo sie beide wohnten – eine Doppelreihe von gepflegten, identischen Häusern an beiden Seiten der Straße, auf der sie ihr gan- zes Leben lang gerauft, herumgelungert und Baseball ge- spielt hatten. Eddie schob die Tür zu seinem Haus auf und führte Ralph in den Flur, wo es vertraut nach Blu- menkohl und Überschuhen roch. »Geh schon mal rein«, sagte er, tippte mit dem Daumen an die geschlossene Wohnzimmertür und ließ Ralph den Vortritt.
Ralph öffnete die Tür, und kaum war er drei Schritte drinnen, traf ihn beinahe der Schlag. Im Zimmer herrsch- te Totenstille, aber es war voll von grinsenden, rotgesich- tigen Männern – Marty, George, die Jungs aus dem Block, die Jungs aus dem Büro –, alle, seine ganzen Freunde, alle standen sie erwartungsvoll vor ihm, reglos wie eine feste Masse. Skinny Maguire saß gebückt, die Finger hoch über den Tasten gespreizt, am Klavier, und als er schwelge- risch die ersten Töne anschlug, stimmten alle dröhnend mit ein, schlugen mit den
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