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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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könnte. Wenn Sie wollen, daß er was anderes tut, hätten Sie das klarstellen müssen.«
     »Aber, Bob«, sagte er und stand auf, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, und an das, was er als nächstes sagte, erinnere ich mich immer wieder als an den letzten, verzweifelten, ewig währenden Schrei des Philisters. »Bob, Sie sind doch der Mann mit der Phantasie!«
     Ich stand ebenfalls auf, damit ich auf ihn hinunterblik- ken konnte. Ich wußte, daß ich der Mann mit der Phanta- sie war. Ich war mir zudem bewußt, daß ich zweiund- zwanzig Jahre alt und müde wie ein alter Mann war, daß ich kurz davor war, meinen Job zu verlieren, daß ich bald Vater werden würde und mich nicht mehr besonders gut mit meiner Frau verstand; und jetzt kam jeder daher- gelaufene Taxifahrer, jeder Zuhälter eines unbedeutenden Politikers und angebliche Hornist in der Stadt New York zu mir ins Haus und versuchte, mir mein Geld zu stehlen.
     »Zehn Dollar, Bernie.«
     Er machte eine hilflose Geste, lächelnd. Dann schaute
    er zur Kochnische, wo Joan stand, und obwohl ich den Blick nicht von ihm wenden wollte, muß auch ich zu ihr gesehen haben, weil ich noch weiß, was sie tat. Sie wand ein Geschirrtuch in den Händen und blickte darauf hin- unter.
     »Hören Sie, Bob«, sagte er. »Ich hätte nicht sagen sol- len, daß es nichts ist. Sie haben recht! Wer kann von sechseinhalb Seiten behaupten, daß sie nichts sind? Wahrscheinlich stecken viele gute Ideen drin, Bob. Sie wollen Ihre zehn Dollar; gut, in Ordnung, Sie werden Ihre zehn Dollar kriegen. Ich bitte Sie nur um eins. Nehmen Sie die Geschichte zurück und schreiben Sie sie ein biß- chen um, mehr nicht. Dann können wir ...«
     «Zehn Dollar, Bernie. Jetzt.«
     Aus seinem Lächeln war alles Leben gewichen, aber es
    blieb auf seinem Gesicht, während er einen Geldschein aus seiner Brieftasche nahm und ihn mir reichte und ich eine elende kleine Schau abzog und überprüfte, daß es ein gottverdammter Zehner war.
     »Okay, Bob«, sagte er. »Dann sind wir quitt. Richtig?«
     »Richtig.«
     Dann war er verschwunden, und Joan eilte zur Tür, öff- nete sie und rief: »Guten Abend, Bernie!«
     Ich meinte zu hören, daß seine Schritte auf der Treppe verstummten, aber ich hörte kein »Guten Abend« von ihm, deswegen nahm ich an, daß er nur stehengeblieben war und sich zu ihr umgedreht hatte, um ihr zu winken oder ihr eine Kußhand zu blasen. Vom Fenster sah ich, wie er auf den Gehsteig trat, in sein Taxi stieg und weg- fuhr. Während der ganzen Zeit faltete ich seinen Geld- schein immer wieder neu, und ich glaube nicht, daß ich jemals etwas in Händen hielt, was ich weniger wollte.
     Im Zimmer, in dem nur wir beide uns bewegten, war es still, während die Kochnische von den würzigen Düften und Dämpfen eines Essens erfüllt war, für das uns beiden der Appetit vergangen war. »Tja«, sagte ich. »Das war das.«
     »War es wirklich nötig«, fragte sie, »so schrecklich un- freundlich zu ihm zu sein?«
     Und das schien mir damals das Illoyalste zu sein, was sie hätte sagen können, der herzloseste Schlag von allen. »Unfreundlich zu ihm! Unfreundlich zu ihm! Würdest du mir netterweise sagen, was ich verdammt noch mal hätte tun sollen? Soll ich rumsitzen und ›freundlich‹ sein, wäh- rend ein billiger, verlogener kleiner Parasit von einem Taxifahrer reinkommt und mich ausblutet? Ist es das? Hm? Ist es das, was du willst?«
     Dann tat sie, was sie oft in solchen Momenten tat, und bisweilen denke ich, daß ich alles im Leben dafür geben würde, wenn ich es nie hätte mit ansehen müssen: Sie wandte sich von mir ab, schloß die Augen und hielt sich die Ohren zu.

    Weniger als eine Woche später sank die Hand des stell- vertretenden Leiters der Wirtschaftsredaktion endlich auf meine Schulter, genau in der Mitte eines Absatzes über das Verhalten amerikanischer Aktien im bescheidenen Handel.
     Es war eine Weile vor Weihnachten, und ich fand einen Job als Vorführer von mechanischem Spielzeug in einem Billigladen in der Fifth Avenue. Und ich glaube, es war während dieser Zeit bei dem Billigladen – vielleicht wäh- rend ich eine kleine Katze aus Blech und Baumwolle auf- zog, die »Miau!« machte und auf der Seite herumrollte, »Miau!« und herumrollte, »Miau!« und herumrollte –, irgendwann in dieser Zeit jedenfalls gab ich auf, was noch von der Idee übrig war, mein Leben nach dem Muster von Ernest Hemingway aufzubauen. Manche Bau- vorhaben kommen einfach nicht

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