Elf Zentimeter
sagte Sabines Mutter. »Dich habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen. Gut siehst du aus, so schlank.«
»Sie sehen auch mit jedem Tag jünger aus«, sagte ich.
Sabine wirkte schüchtern.
»Hallo Stefan«, sagte sie.
Lasziv legte sie den Kopf zur Seite.
Vor ein paar Monaten noch hätte mich allein diese Geste um den Verstand gebracht.
Wir redeten belangloses Zeug, bis Jakob und mein Vater zu uns stießen.
»Wie geht es dir mit deinem Freund?«, fragte ich Sabine, während die anderen drei in ein Gespräch über die Wanderwege auf der Rax und am Schneeberg vertieft waren.
Sie war sichtlich überrascht über meine offene Frage.
»Gut, danke. Und du? Bist du glücklich?«
»Ich habe seit ein paar Monaten eine Freundin.«
Das stimmte im Prinzip. Auch wenn »ein paar Monate« nach etwas mehr als den zehn Wochen klang, die es tatsächlich waren. Auch vermittelte das Wort »Freundin« bei Sabine vermutlich ein Bild, das der Realität nicht ganz entsprach. Tatjana und ich mochten uns und wir hatten Spaß miteinander.
»Ist sie nett?«, fragte Sabine.
»Sehr.«
»Hübsch?«
»Sehr hübsch.«
Ich lächelte sie an. Ich spürte, dass in meinem Lächeln die Glückseligkeit dieser einen ersten befreienden Nacht mit Tatjana lag. Ich war nicht sicher, aber ich glaubte, dass meine Augen ein bisschen feucht wurden. Sabine schien nicht ganz so begeistert über mein neues Glück zu sein. Ich war erstaunt, dass das keine Gefühle in mir auslöste.
»Wir müssen weiter«, sagte Sabines Mutter. »Sonst wird es zu spät.«
»Bis irgendwann«, sagte Sabine zu mir.
»Bis irgendwann.«
Wir gingen weiter.
»Eine nette Frau«, sagte mein Vater, als wir ein paar Schritte entfernt waren. »Und die Tochter war auch sehr sympathisch. Du warst doch recht lang zusammen mit ihr, nicht wahr?«
»Ja schon«, sagte ich, »aber das ist schon lange her.«
Die Sonne stand hoch über der Rax und das Grün der Wälder auf den Hängen leuchtete frisch. Ich freute mich auf Tatjana, die ich am nächsten Tag wiedersehen sollte.
Von jetzt an würde es mit den Frauen und mir funktionieren. Die Dämonen würden nicht mehr in mein Leben zurückkehren, vielleicht andere, aber diese nicht mehr. Denn ich hatte ein wichtiges Prinzip verstanden, und das konnte mir keiner mehr nehmen.
Die wichtigste Regel im Leben eines Menschen ist die Regel Nummer sieben:
7.
Wer glücklich werden will, muss lernen,
sich so zu akzeptieren, wie er ist.
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Epilog
D as kann doch wohl nur ein Witz sein, oder?«
Der Chef des großen Wiener Luxusbordells sah mich an und schüttelte den Kopf. Er hatte meinen Anruf und unseren Termin offenbar vergessen.
Pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt hatte ich an der goldenen Klingel neben der grünen Tür geläutet und war, vorbei an einem Spalier adretter Damen und einer ausgestopften Gazelle, zu einem Tischchen in einer Art geräumigem Separee geleitet worden. Edler Plüsch umgab uns.
»Wem ist das eigentlich eingefallen?«, fragte er, als ich ihm versichert hatte, dass es kein Witz sei.
Dabei musterte er mich zum ersten Mal eingehender. Vielleicht konnten nicht nur die Prostituierten hier die Schwanzlänge eines Mannes auf den ersten Blick abschätzen, sondern auch ihr Chef. Jedenfalls wirkte er auf einmal milder und ein bisschen mitleidig.
»Auf die Schwanzlänge kommt es ja gar nicht an«, sagte er. »Dachten Sie das?«
»Worauf dann?«
»Es kommt nur darauf an, wie viel Geld Sie haben. Wenn Sie viel haben, können Sie vögeln, wen Sie wollen.«
Er lachte.
Ich schwieg.
»Jetzt haben Sie etwas gelernt, oder? Wann wollen Sie denn Ihre Befragung durchführen?«
Ich hatte einen Laptop dabei mit je sechs Bildern von meiner ganzen Liste berühmter Menschen. Die Liste reichte nun von Julius Cäsar über Abraham Lincoln bis Charles Darwin und Humphrey Bogart.
»Am besten jetzt gleich«, sagte ich.
Das erwies sich als unmöglich. Der Chef gab mir lieber einen neuen Termin außerhalb der Öffnungszeiten, für den darauffolgenden Donnerstag um fünfzehn Uhr.
Katarina, Klara und Penelope empfingen mich. Ich baute meinen Laptop so auf, dass wir alle vier die Bilder sehen konnten, und klickte mich langsam durch. Katarina war Österreicherin und Klara Tschechin. Beide hatten jahrelang als Prostituierte gearbeitet und schmissen den Laden inzwischen als Geschäftsführerinnen. Sie waren beide ziemlich aufgeweckt und gebildet. Katarina, die eine Ausbildung als Opernsängerin begonnen hatte, ehe sie über das Gastgewerbe
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