Elfen und Goetter (Die Saga von Edro und Mergun - Komplettausgabe)
Gestalt fest, die plötzlich hinter einer Mauerecke hervorgetreten war.
Mergun erstarrte und hielt inne. Es war der weise und geheimnisvolle Luun, der vor ihm stand, jenes seltsame Wesen, dass in der Gestalt eines grauen Mannes plötzlich aufzutauchen und wieder zu verschwinden pflegte.
„Na, wie fühlt man sich als frischgebackener Gott?“, wurde Mergun gefragt.
In Luuns Stimme schwang eine gute Portion Zynismus mit.
„Oh, wie ich diese Menschen hasse!“, stieß Mergun hervor.
„Ihr solltet die Menschen von Balan lieben, mein Freund.
Schließlich seid Ihr der Gott dieser Stadt, nachdem Ahyr ein unrühmliches Ende gefunden hat.“
„Ich will aber nicht! Ich will nicht der Gott dieser Menschen sein!
Es liegt mir nichts daran, man soll mich in Frieden lassen. Ich möchte lediglich der sein, der ich immer war: Mergun, der Wanderer.“
„Ihr ward lange genug ein Wanderer, Mergun. Es wird Zeit, dass Ihr sesshaft werdet - zumindest für eine Weile.“
„Ich will nicht.“
„Ist es nicht seltsam: Jeder andere Sterbliche würde sich nach einen Dasein als Gott sehnen. Euch dagegen liegt nichts daran.“ Luun schwieg eine Weile und seine grauen Augen musterten Mergun durchdringend. Es war ein wissender Blick, der geradewegs in Merguns Seele zu dringen schien!
„Ihr müsst in Balan bleiben, Mergun! Die Leute hier brauchen Euch! Sie brauchen einen Gott und Ihr sollt diese Rolle ausfüllen!“
*
Mergun blieb in Balan. Es war einfach das Naheliegendste, auch wenn sich zunächst alles in ihm dagegen gesträubt hatte. Mit der Zeit spürte er im Übrigen auch, dass ihm die Zügel seines Geschicks längst entglitten waren. Die Dinge hatten sich verselbständigt und er, der sesshaft gewordene Wanderer, schien - obgleich er doch zur Gottheit emporgestiegen war, nicht viel mehr als ein Zuschauer zu sein.
Mit der Zeit lernte Mergun einige der Bürger von Balan etwas näher kennen, so zum Beispiel den hageren Hergus und Terny, der das Amt des Bürgermeisters ausfüllte und - nicht zu vergessen - Dagis, den Priester, einst in Diensten des Gottes Ahyr, seit dessen Ende aber ohne Beschäftigung. Insgeheim hoffte er allerdings, dass Mergun ihn zu seinem Priester berufen würde. Sooft es ging, hielt Dagis sich in der Umgebung des neuen Gottes auf, dessen Göttlichkeit sich durch seine Unverwundbarkeit eindeutig erwiesen hatte, um sich bei ihm einzuschmeicheln. Was dies anging, so wusste Dagis, dass man Götter wie Menschen an der gleichen Stelle ihrer Seele anfassen musste, wollte nun sie beeinflussen: bei ihrer Eitelkeit.
Mergun hatte jedoch ganz und gar nicht die Absicht, dem Wunsch des ehemaligen Priesters zu entsprechen. Er brauchte (so glaubte er) keine Priester und Diener, keine Lakaien. Jedenfalls redete er sich dies fortwährend ein.
Die meiste Zeit verbrachte Mergun draußen vor der Stadt in freier Natur. Hier war er allein und ungestört und konnte nachdenken. Oft traf er hier auch mit den grauen Luun zusammen und dann ergingen sich die beiden in langen philosophischen Diskursen.
Schließlich traf Mergun eine Entscheidung, die im Grunde genommen längst gefallen war: Er ging zu Terny, dem gewählten Bürgermeister von Balan und erklärte ihm, dass er für eine Weile in der Stadt zu bleiben gedenke. Er selbst war am meisten darüber erstaunt, wie schnell er sich das dauernde Umherziehen hatte abgewöhnen können.
„Es ist eine große Ehre für uns, Herr, dass Ihr bei uns bleiben wollt“, sagte Terny zu seinen Idol, wobei er sich tief verneigte. „Selbst eine große und mächtige Stadt wie Balan hat nicht oft das Glück, einen leibhaftigen Gott zu beherbergen!“ Der Bürgermeister lächelte. „Ihr seid ein friedliebender, sanfter Gott, Herr Mergun. Und das wissen die Balanier wohl zu schätzen, nach den langen Menschenaltern, die der kriegerische Ahyr bei uns geherrscht hat!“
Und so kam es, dass Mergun schließlich in Balan blieb.
In dem großen Tempel, in dem vorher Ahyr gehaust hatte, lebte nun der neue Gott. Tag für Tag wandelte er in den großen Gewölben.
Früher waren hier Menschenopfer dargebracht worden, aber das war Geschichte. Mergun hatte solch unmenschlichen und sadistischen Gebräuche - Kraft seiner göttlichen Autorität - abgeschafft, was seine Gläubigen überwiegend ohne Murren hingenommen hatten. Was sie sich allerdings nicht nehmen ließen, war die Opferung von Tieren und Getreide auf Merguns Altar, der früher der Altar des blutrünstigen Ahyr gewesen war. Dagis, der es mit der
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