Elfenblick
war hier so gut wie unmöglich. Mehrmals meinte Mageli, aus der Ferne Stimmen zu hören. Dunkelelfen! Jedes Mal überrollte eine Welle von Panik ihren Körper, und sie strauchelte bei dem Versuch, noch schneller vorwärtszukommen. Endlich erreichten sie das Ende des Ganges und vor ihnen tat sich die Tropfsteinhöhle auf. Oder besser gesagt: das, was davon übrig geblieben war.
»Was hat denn hier gewütet?«, stieß Erin hervor, als er hinter Mageli in die Höhle stolperte.
»Ferocius«, entgegnete sie lapidar. Denn mittlerweile hatte sie begriffen, dass es der Schattenfürst gewesen sein musste, der all die Hindernisse auf dem Weg ins Dunkle Reich eingerichtet hatte. In dieser Höhle hatte er ganze Arbeit geleistet.
Meterhohe Schuttberge lagen da, wo zuvor die imposanten Steinskulpturen aus dem Boden gewachsen waren. Von der Decke der Höhle hingen nur noch die Reste der faszinierenden Stalaktiten wie verfaulte, spitze Zahnstümpfe. Mageli schüttelte sich. Noch immer wurde ihr ganz schlecht bei dem Gedanken, wie sie hier um ihr Leben gerannt war.
»Freeclimbing«, rief sie betont munter. Die anderen rührten sich nicht von der Stelle und musterten sie mit erstaunten Gesichtern. Na gut, der Witz funktionierte bei Elfen wohl nicht. Erklärend setzte Mageli hinzu: »Wir müssen da drüber!«
Die Kletterpartie war ohne Frage der unangenehmste Teil ihrer Flucht. Die Geröllhaufen waren instabil und die Bruchstücke der Tropfsteine waren scharfkantig wie geschliffene Messer. Gleich beim ersten Versuch, einen der Schuttberge zu übersteigen, rutschte Mageli ab und schürfte sich die Hände auf. Obwohl ihnen allen ihre angeborene – in Erins Fall antrainierte – Leichtfüßigkeit zu Hilfe kam, war keiner unter ihnen, der am Ende nicht eine Reihe frischer Schrammen und Wunden aufweisen konnte. Niemand beklagte sich. Sie gönnten sich keine Pause, sondern eilten sofort weiter hinter Mageli in den nächsten Tunnel.
Noch immer flüsterten sie sich nur das Nötigste zu, aus Furcht, ihre Verfolger könnten auf sie aufmerksam werden. Nachdem sie die Tropfsteinhöhle verlassen hatten, hörte Mageli wenigstens keine Stimmen mehr hinter sich, und sie fing an zu hoffen, dass sie Ferocius’ Leute endlich abgehängt hatten.
Auch wenn ihr die Strecke kürzer erschien als auf ihrem Hinweg, so war es trotzdem eine stundenlange, anstrengende Wanderung. Immerhin war sie dieses Mal nicht allein. Erin war an ihrer Seite. Und ihre neuen Freunde. Das war ein gutes Gefühl.
Mageli führte die Gruppe der Flüchtlinge über den Abgrund hinweg, der keiner war, und über das letzte Wegstück, bis sie schließlich vor der hohen Wand aus Steinbrocken standen, hinter der die Lichtung lag.
»Hier ist es«, erklärte sie außer Atem. Ihr Herz pochte wie wild. Ob vor Anstrengung oder Aufregung, konnte sie nicht sagen.
»Wie gelangen wir hinaus?«, fragte Erin und wieder schauten alle sie erwartungsvoll an.
»Beim letzten Mal habe ich Flöte gespielt«, überlegte Mageli laut. »Wartet.« Sie wollte ihren Rucksack vom Rücken nehmen, um ihren Flötenkasten herauszuholen. Da erklang ein einzelner hoher Ton.
Alawin, die als Letzte zu der Gruppe gestoßen war, sichtlich angestrengt von der langen Flucht, hatte sich der hohen Steinwand zugewendet. Ein konzentrierter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht und aus ihrem Mund strömte ein fast überirdischer Klang.
Ein zweiter Ton gesellte sich dazu, tiefer, voller und harmonischer als der erste. Ondulas hatte ebenfalls zu singen begonnen.
Als Nächste schloss sich Rikjana an. Ihre Stimme war herb, kräftig gesellte sich ihr Ton zu den anderen beiden. Ein Dreiklang von sehnsüchtiger Schönheit.
Dann fielen die übrigen Elfen ein, ein jeder mit seiner ganz eigenen Stimme, und die Töne vermischten sich zu einer Musik, so vollkommen, dass Mageli die Tränen in die Augen stiegen und sie selbst nicht anders konnte, als ihren Mund zu öffnen und den Ton entweichen zu lassen, der ihren eigenen Körper erfüllte.
Sie spürte, wie Erin nach ihrer Hand griff. In diesem Moment wichen die Steine und gaben den Weg frei, und mit Erin an ihrer Seite trat Mageli hinaus in die Lichtung.
Im ersten Moment war sie so geblendet vom Sonnenlicht, dass sie die Augen zusammenkneifen musste. Wie im Traumverlies!, dachte sie mit einem Anflug von Panik. Dann spürte sie die warmen Strahlen auf ihrem Gesicht und sah das rötliche Licht durch ihre geschlossenen Lider. Sie hörte das Wasser des Flüsschens plätschern, die Bienen
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