Inspektor Bony 24 - Bony und die Maus
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Wer das Flugzeug bei Golden Mile in Westaustralien verläßt, mit der Bahn nordwärts bis Laverton fährt und von dort einem kaum erkennbaren Weg durch Busch und Steppe noch hundertfünfzig Meilen weit folgt, kommt in das Land von Melody Sam.
Kriminalinspektor Napoleon Bonaparte reiste unter falschem Namen auf einer anderen Route, da er guten Grund hatte, dieses Gebiet lieber unerkannt zu betreten. Es war ein klarer, heißer, windiger Tag, als sein Blick von einem kleinen Plateau zum erstenmal auf Sam Loaders Reich fiel. Er sprang vom Pferd und studierte die Landschaft. Dieser Steilabfall war der granitene Rand einer riesigen Senke, in der Mulgabäume einen Wald bildeten.
Jenseits der vielen Quadratmeilen Mulgawald, am östlichen Horizont, lag breit hingestreckt der Bergzug Bulow's Range, unter dem hellblauen, flimmernden Himmel nur ein blaßgrauer Fleck. Bony erkannte einen Förderturm, der aus der Ferne einem abgebrannten Streichholz glich, und die Konturen des mindestens noch zehn Meilen entfernten Städtchens Daybreak. Das also war das Land von Melody Sam, das Ziel dieses Reiters, dessen Beruf dann bestand, Übeltäter zu überführen.
Der heiße Nordwind zauste die Mähne seiner braunen Stute und die des Packpferdes.
Wieder im Sattel, ritt der Mann, den seine Freunde ›Bony‹ nannten, den Hang hinab und durch den Wald, dessen Bäume etwa acht Meter hoch und alle von gleicher Größe waren.
Bony überquerte mit seinen Pferden eine parkettähnliche Fläche von hellrot und tiefschwarz gemusterter Erde. Durch die oberen Zweige der Mulgabäume fuhr brausend der Wind, aber er konnte die grüne Masse nicht bis nach unten durchdringen. Da am Boden nichts wuchs, war kein Tier zu sehen. Ganz ohne Unterholz, ohne Spinifex oder anderes Gras wirkte der Wald seltsam leer. Auf der Lichtung, die er schließlich erreichte, sprang er wieder aus dem Sattel. Die Pferde, die Wasser witterten, wieherten leise.
Bony fand das Wasser in einem tiefen Loch unter einem Haufen Felsbrocken. Ein Eimer lag daneben. So konnte er seinen Tieren zu trinken geben. Er löste die Sattelgurte, kochte Wasser in einem Topf und goß sich Tee auf. Im Schatten des Steinhaufens saß er, und war in Gedanken ganz mit seinem Auftrag beschäftigt.
Die Akten des Falles, die Protokolle, die Gipsabgüsse von Spuren und die Berichte der Kriminalbeamten – ein beängstigend hoher Stapel – hatten ihm ein ziemlich klares Bild von dem Ort und seinen Bewohnern vermittelt, die jetzt von rätselhaften Morden aufgestört waren. Daybreak war ein Städtchen, das ein einziger Mann gegründet hatte und offenbar allein beherrschte – einer, den alle Goldsucher und Erzfachleute in Westaustralien unter dem Namen Melody Sam kannten. Dreihundert Meilen von Kalgoorlie entfernt, und hundertfünfzig von der Endstation der Kleinbahn in Laverton lag dieses große Gebiet, das Sam Loader gehörte, ohne Grenzmarkierung, ungenutzt und von Goldsuchern kaum berührt.
Daybreak, ein Städtchen mit nur einer Kneipe, war ganz im Besitz von Melody Sam. Ihm gehörte auch der Laden, in dem es alles zu kaufen gab, was die Bewohner brauchten. Er unterhielt den Post- und Güterverkehr von und nach Laverton, er hatte die Kirche aus eigenen Mitteln errichtet und bezahlte den Pfarrer und hatte das Rathaus und die Schule gebaut.
Melody Sam – ein Magnat? Ein Diktator? Aus allem, was in den Berichten stand, ergab sich deutlich nur eins: Melody Sam wurde von allen Ortsbewohnern respektiert, um nicht zu sagen geliebt. Anscheinend schätzten sie nur eine einzige Besonderheit an ihm nicht so besonders: Er pflegte, ohne es vorher anzukündigen, mit seiner Geige die Hauptstraße auf und ab zu spazieren. Er spielte sehr gut, wenn auch nicht gerade moderne Melodien. Außerdem war er unberechenbar: Niemand konnte voraussagen, wann er mit einer neuen Saufperiode anfing, die oft viele Tage andauerte.
Drei Morde waren begangen worden: der erste an einer jungen Eingeborenen namens Mary, einem Schützling des Ortsgeistlichen und seiner Gattin. Man hatte Mary im Juli des letzten Jahres auf einem Fußweg beim Pfarrhaus tot aufgefunden, mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen. Einen Monat später wurde Mavis Lorelli, die Frau eines Viehzüchters, der fünf Meilen vor der Stadt an der Straße nach Laverton wohnte, von ihrem heimkehrenden Mann erwürgt aufgefunden. Und im Januar dieses Jahres war der dritte Mord geschehen. Das Opfer war ein in der Stadt als Automechanikerlehrling beschäftigter junger
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