Elfenblut
Ausleger des Baggers empor und strich über den aufgehängten Betonkübel, um dann eine plötzliche, ruckhafte Bewegung nach rechts zu machen und einen gefiederten schwarzen Dämon aus der Dunkelheit zu reißen. Pia korrigierte ihre Einschätzung, die Größe des Rabens betreffend, noch einmal ein gutes Stück nach oben – wäre sie ein Adler gewesen, dann hätte sie es sich vermutlich zweimal überlegt, sich mit einem Gegner wie diesem anzulegen –, und auch das Verhalten des Vogels blieb sonderbar. Jedes andere Tier an seiner Stelle wäre spätestens jetzt davongeflogen. Der Rabe hingegen legte den Kopf auf die Seite und starrte in das Licht der Taschenlampe, ohne auch nur zu blinzeln. Er gab keinen Laut von sich.
Eine raue Stimme sagte etwas, das Pia nicht verstand, und ein noch raueres Lachen antwortete darauf. Der Lichtstrahl ließ den Raben für einen Moment los und kam dann zurück, strich diesmal aber nur über das rostige Eisen der stählernen Drachenzähne. Der Rabe war verschwunden, und das war beinahe noch unheimlicher.
Pia rief sich in Gedanken zur Ordnung. Sie hatten im Moment wirklich andere Probleme als schwarze Riesenvögel, deren Navisystem durcheinandergekommen war. Eines davon war zumindest in derselben Farbe gekleidet und stand mit verschränkten Armen vor dem Tor. Sie mussten improvisieren.
Oder auch nicht, denn als sie sich zu Jesus umdrehen wollte, war er nicht mehr da. Pia hatte nicht einmal gemerkt, dass er aufgestanden und davongeschlichen war.
Der Lichtstrahl kehrte zu seinem ursprünglichen Ziel zurück, tastete misstrauisch über das rostige Metall des Kübels und dann noch aufmerksamer über das Drahtseil, an dem er aufgehängt war; ein guter Meter rostige Trosse, und somit nicht nur doppelt so lang wie an einem der anderen sieben Tage, sondern auch das vereinbarte Zeichen, dass die Lieferung an Ort und Stelle war. Pia spannte sich innerlich. Was sollte sie tun? Wo war Jesus?
Die Frage blieb vorerst unbeantwortet, aber zu dem ersten Lichtstrahl gesellte sich ein zweiter, der den Ausleger herunterwanderte und einige Sekunden wie ziellos umhertastete, bis er an einem Schaltkasten mit drei auffälligen Knöpfen hängen blieb. Der Mann ging hin, betätigte den obersten Knopf, und der Kübel setzte sich mit einem asthmatischen Ächzen in Bewegung und kletterte weiter in die Höhe, bevor er seinen Fehler korrigierte und das Kabel in umgekehrter Richtung abspulte. Pia fragte sich zum zweiten Mal, wo Jesus war. Sie hasste es, zu improvisieren, aber das bedeutete nicht, dass sie es nicht konnte. Es wäre jedoch hilfreich, zu wissen, ob sie Jesus in ihren improvisierten Plan B mit einbeziehen könnte …
Der Betonkübel berührte mit einem hohlen Dröhnen den Boden, und das Geräusch übertönte den anderen, seufzenden Laut, der vom Tor herüberwehte. Als Pia hinsah, schien sich dort nichts verändert zu haben; allenfalls, dass der Posten dort jetzt einen weißen Anzug trug statt eines schwarzen. Nun richteten sich beide Taschenlampen auf den Metallkübel, den der Mann mit der Fernsteuerung so zu Boden gelassen hatte, dass er den halb aufgeweichten Morast so gerade eben berührte. Sein Kumpan fing an, ihn hin und her zu schaukeln, bis er zu kippen begann und nur deshalb nicht umfiel, weil der andere das Drahtseil in diesem Moment wieder straffer zog. Der Kübel stand jetzt so schräg, dass der Kurier halbwegs bequem hineingreifen und den Deckel des doppelten Bodens öffnen konnte.
Pia seufzte. Sie wären heute Abend gar nicht hier, und alles wäre sehr viel einfacher und ungefährlicher gewesen, wenn es Jesus und ihr gelungen wäre, das verborgene Fach zu öffnen. Sie hatten es versucht, mehr als einmal, aber der Mechanismus war so kompliziert, dass sie ihn wohl höchstens mit einem Schneidbrenner aufbekommen hätten, und das wäre selbst hier mit Sicherheit nicht unbemerkt geblieben.
Zwei, drei, schließlich ein halbes Dutzend durchsichtiger, mit braunem Klebeband umwickelter Plastikbeutel fielen aus dem Fach, jeder ein gutes Pfund schwer, schätzte Pia. Gut doppelt so viel wie die fünf Mal zuvor, als sie die Übergabe beobachtet hatte … was bedeutete, dass die Männer wohl auch die doppelte Summe in das Geheimfach legen würden. Kein Wunder, dass sie Verstärkung mitgebracht hatten. Vielleicht war sie doch gut beraten gewesen, nicht auf ihre innere Stimme zu hören und alles abzublasen, sondern zu improvisieren. Wie es aussah, gab es heute die doppelte Beute.
Sie wartete, bis der
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