Elfenblut
hauptsächlich, weil sie so schwer war und sie nicht wollte, dass der Kerl sah, wie ihre Hand unter dem Gewicht langsam zu zittern begann. Für ihren Geschmack hatte er ohnehin schon viel zu viel gesehen. Sie hatte nicht vorgehabt, so lange mit den Kerlen zu reden. Wäre es nach ihrem ursprünglichen Plan gegangen, wären sie jetzt schon längst wieder weg, und die beiden Typen würden bis zum Hintern im Schlamm stecken.
»Ich erschieße dich nicht«, sagte sie noch einmal, »aber ich habe kein Problem damit, dir ins Knie zu schießen.«
Sie konnte ihrem Gegenüber ansehen, dass er diese Drohung ernst nahm. Er war ein dunkelhaariger, drahtiger Bursche Mitte zwanzig, der nicht einmal unsympathisch aussah und durchaus in ihr Beuteschema gepasst hätte, wären sie sich unter anderen Umständen begegnet – und hätte es Jesus nicht gegeben. Schade eigentlich.
»Geh einen Schritt zur Seite, und ich lege den Knirps um«, sagte sein Begleiter. »Das ist doch nur ein Kind!«
»Ein Kind mit einer Waffe«, erwiderte der Dunkelhaarige. Er schüttelte erneut den Kopf, was diesmal aber nicht Pia galt. »Lass den Quatsch. Das lohnt sich nicht.«
»Würde auch nicht funktionieren«, sagte eine dritte Stimme.
Pia ließ den Dunkelhaarigen nicht eine Sekunde aus den Augen, aber sie sah trotzdem, wie ein weißer Schemen hinter dem anderen Typen auftauchte, dann hörte sie ein Ächzen und ein knirschendes Geräusch, als würde ein nasses Holzscheit in einen Schraubstock gespannt. Der Dunkelhaarige wandte hastig den Kopf und sah ziemlich erschrocken aus, und auch Pia riskierte einen schnellen Blick. Allem Anschein nach hatte sie Jesus unterschätzt; oder doch zumindest sein Improvisationstalent. Der Bursche mit der Pistole hatte jedenfalls keine Pistole mehr, sondern hockte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Knien und umklammerte seine rechte Hand. Jesus’ linke Hand umklammerte seinen Nacken und sorgte dafür, dass er nicht auf dumme Ideen kam, mit der anderen drückte er eine Karnevalsmaske vor sein Gesicht, die wie Pias aussah, aber ungefähr doppelt so groß war.
»Tja, da haben wir euch wohl unterschätzt«, seufzte der Dunkelhaarige. In seiner Stimme war immer noch nicht die mindeste Spur von Furcht zu hören, was Pia ziemlich beunruhigend fand. Er hob die Schultern und versetzte dem Leinenbeutel einen Tritt, der ihn zielsicher durch den Morast bis vor Pias Füße schlittern ließ.
»Ich hoffe, ihr wisst, was ihr da tut, Freunde«, sagte er.
»Euch ausrauben?«, fragte Pia.
»Uns?« Der Dunkelhaarige lachte. »Wohl kaum. Ihr legt euch gerade mit den Leuten an, denen das Zeug hier gehört. Ich an eurer Stelle hätte nicht die Chuzpe. Ihr müsst entweder gewaltige Colhões haben, oder ihr sei total bescheuert.« Er legte den Kopf schräg und sah Pia aus kalt glitzernden Augen an, noch immer ohne eine Spur von Angst, aber auf eine plötzlich sehr nachdenkliche Art … als wäre ihm klar geworden, dass sie gar keine Colhões hatte. Pia fühlte sich unter ihrer Maske von Sekunde zu Sekunde unwohler. Das hier lief überhaupt nicht so, wie es sollte. Ihre Verkleidung war alles andere als perfekt, und sie war auch nicht dafür gedacht gewesen, länger als die Schrecksekunde zu halten, die sie ihren beiden potenziellen Opfern zugedacht hatten.
»Hör auf zu quatschen«, sagte sie ruppig. »Hast du eine Waffe?«
»Sicher.«
»Dann nimm sie heraus und leg sie auf den Boden. Ganz langsam.«
Der Bursche gehorchte und richtete sich dann unaufgefordert und mit erhobenen Händen wieder auf. Zu Pias Verwirrung lächelte er, als fände er die ganze Situation aus irgendeinem Grund äußerst amüsant.
»Was ist so komisch?«, fragte sie.
»Eigentlich nichts«, antwortete er. »Mein Boss wird bestimmt nicht begeistert sein, wenn ich ihm erzähle, was passiert ist. Ehrlich gesagt, möchte ich nicht wirklich in meiner Haut stecken, wenn er es erfährt … aber noch sehr viel weniger in eurer.« Sein Lächeln erlosch. »Ihr seid tot, das ist dir doch klar, oder?«
»Ach? Ist das so?«
Der Dunkelhaarige antwortete nicht, sondern wandte sich mit einem fragenden Blick an Jesus. »Was hast du mit Miguel gemacht? Lebt er noch?«
Jesus war klug genug, nicht laut zu antworten, sondern nur zu nicken, und der Dunkelhaarige drehte sich wieder ganz zu ihr herum. »Dann habt ihr noch eine Chance«, sagte er sehr ernst. »Packt eure Kanonen ein und verschwindet. Du hast mein Wort, dass wir euch nicht verfolgen. Und niemand wird erfahren, was
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