Elfenblut
gehörte hierher. Sie wusste so gut wie nichts von Lions Welt, und im Grunde hatte diese bisher nichts als Schrecken, Schmerz und Gefahr für sie bereitgehalten. Sie war zum Umfallen müde, jeder einzelne Knochen im Leib tat ihr weh und sie fror noch immer zum Gotterbarmen … aber sie gehörte hierher.
»Weißt du, was mir gerade einfällt?«, fragte sie.
»Woher?«
»Leute wie dich gibt es bei uns auch«, fuhr sie fort. »Man nennt sie Cowboys. Oder jedenfalls hat es sie früher einmal gegeben.«
»Und was ist geschehen, dass es sie nicht mehr gibt?«
Wer stellte jetzt viele Fragen?, dachte sie spöttisch. Aber sie antwortete trotzdem. »Ein paar gibt es noch, aber nicht mehr viele. Die Welt hat sich weiterentwickelt.«
»Und jetzt ist in Eurer Welt kein Platz mehr für …« Lion suchte einen Moment lang nach dem Wort, das sie gerade benutzt hatte. »… Cowboys?«
Pia hob nur die Schultern.
Für einen Moment machte sich unbehagliche Stille zwischen ihnen breit. Das knirschende Geräusch ihrer Schritte auf dem hart gefrorenen Boden schien lauter zu werden, und die Schatten eilten plötzlich ganz ohne ihr Zutun herbei und versuchten sie in einen Mantel zu hüllen, den sie nicht tragen wollte; nicht jetzt und nicht in seiner Nähe.
Der Gedanke ließ sie lächeln. Sie verscheuchte die Schatten genauso mühelos, wie sie sie schon ein paarmal herbeigerufen hatte (und ohne genau zu wissen, was sie da eigentlich tat), und machte unbewusst einen winzigen Schwenk nach rechts, sodass sie nun so dicht neben ihm herging, dass sich ihre Schultern beinahe berührten. Lion zog die linke Augenbraue hoch, und sie war nicht ganz sicher, ob sie nicht die Andeutung eines Lächelns in seinen Mundwinkeln entdeckte.
Vielleicht sah sie ja auch nur, was sie sehen wollte.
»Wie weit ist es bis zu unserem Treffpunkt?«, fragte sie nach einer Weile und eigentlich nur, um die Stille nicht übermächtig werden zu lassen.
»Als wir uns getroffen haben, hätte ich gesagt, zwei Stunden«, antwortete Lion. »Jetzt denke ich eher …« Er bedachte den mühsam dahinrumpelnden Ochsenkarren mit einem langen, stirnrunzelnden Blick. »… bis Sonnenaufgang.«
Sonnenaufgang? Pia empfand fast so etwas wie Entsetzen. Ihrem subjektiven Empfinden nach war die Sonne gerade erst untergegangen.
»Wir wären schneller ohne Nani und den Wagen«, fuhr er fort. »Aber ich nehme nicht an, dass Ihr sie zurücklassen wollt?«
Pia antwortete nicht einmal darauf
»Ja, das dachte ich mir«, seufzte Lion. »Aber es ist vielleicht auch ganz gut so. Es mag sein, dass Nani und ihre Familie Euch noch von Nutzen sein werden.«
»Und wieso?«
»Eirann«, antworte Lion. Irgendwie klang das geheimnisvoll, dachte Pia, auf eine Art, als hätte er das Wort aus keinem anderen Grund genauso betont, als sie zu beunruhigen.
»Ich dachte, dieser Eirann steht auf unserer Seite?«, fragte sie.
»Er ist ein Spitzohr«, erwiderte Lion. »Spitzohren stehen auf niemandes Seite, außer auf ihrer eigenen.« Er machte zwar ein grimmiges Gesicht, zugleich aber auch eine beruhigende Geste. »O nein, Erhabene. Ihr seid bei ihm so sicher, wie es nur geht. Man kann gegen diese Spitzohren sagen, was immer man will, aber sie stehen zu ihrem Wort. Wenn sie einmal eine Aufgabe übernommen haben, dann lassen sie sich eher in Stücke reißen, bevor sie versagen. Aber es wäre möglich, dass Ihr Euch nach einer Weile nach … menschlicher Gesellschaft sehnt. Sie sind ein eigenartiges Völkchen, diese Elfen.«
Wenn er sie damit beruhigen wollte, dann hatte er das genaue Gegenteil erreicht, dachte Pia.
Oder ganz genau das, was er gewollt hatte.
»Wenn ich es nicht besser wüsste«, sagte sie nachdenklich, »dann könnte ich glatt auf den Gedanken kommen, dass Ihr eifersüchtig seid, Ter Lion.«
Und wer sagt dir, dass ich es nicht bin?, fragte sein Blick. »Auf einen Elf? Wie könnte ich das?«
Na zum Beispiel genau so, wie du es gerade tust, mein Freund, dachte sie spöttisch. »Das heißt, dass du uns nicht begleitest«, vermutete sie.
»Bis zum Tränensee«, antwortete er. »Wenn ich Euch in die Obhut des Elfen übergeben habe, ist meine Aufgabe erfüllt. Ich muss zurück zu meinem Clan. Man braucht mich dort.«
Beinahe hätte sie gesagt: Aber ich brauche dich auch!, konnte die Worte aber im letzten Moment zurückhalten. »Ja, das stimmt vermutlich.«
»Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen, Erhabene«, sagte Lion noch einmal. »Der Elf wird gut auf Euch achtgeben.«
»Und
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