Elfenkrieg
spät.
Eamon hielt die Luft an, und mittlerweile spürte er, dass ihm Tränen aus den Augen flossen.
Im nächsten Moment keuchte Nevliin auf, sein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei, die Phiole entglitt seinen Fingern und zersprang zu seinen Füßen. Ein Röcheln war zu hören, weißer Rauch stob aus seinem Rachen. Das Schwert, die Valdoreener Klinge des Weißen Ritters, fiel zu Boden, und auch Nevliin sank in die Knie. Die eine Hand an die Kehle gepresst, die andere an die Brust, rang er um Atem, während seine Augen vor Schmerz weit aufgerissen waren. Das Drachenblut ließ ihn verbrennen, vergiftete und versengte ihn, denn kein Elf konnte das wahre Blut, Ureliigs Blut, in sich aufnehmen, ohne zu sterben.
Eamon stand da wie festgefroren und starrte auf den sich krümmenden Nevliin, welcher vom Schlüssel des Herzens vernichtet wurde. Er sah das Schwert neben dem Weißen Ritter liegen und auch das Drachenherz.
Das Herz musste zerstört werden, und nur derjenige mit Ureliigs Blut in sich konnte dies vollbringen. Doch das Blut tötete und ließ die Zerstörung des Herzens unmöglich werden.
Er musste getragen werden.
Eamon machte einen Schritt nach vorn. Mechanisch ging er auf Nevliin zu, bückte sich und hob das Schwert auf. Dann ging er neben Nevliin in die Knie, die Hitze in seiner Nähe war kaum auszuhalten.
Einzig auf seinen eigenen Atem konzentriert, um nicht zu begreifen, was er da tat, nahm er Nevliins glühende Hände und legte sie um den Griff seines Schwertes. Seine eigenen Hände schloss Eamon darum und legte all seine Kraft in seine Finger, als er das Schwert schließlich anhob.
Etwas schien an seiner Brust zu reißen, doch führte er Nevliins Hände über das Drachenherz.
Der Weiße Ritter hielt sich nicht mehr aus eigener Kraft aufrecht, die Augen waren so verdreht, dass nur noch das Weiße zu sehen war.
Eamon schloss seine Finger noch fester um Nevliins und sah plötzlich all jene Momente vor sich, in denen er Nevliin die Hand gereicht hatte. Wie Blitze zuckten die gemeinsamen Erlebnisse in seinen Augen, und Eamon wusste, der Weiße Ritter hatte nun nach diesem ewigen Ringen von Licht und Dunkelheit, diesen Macht- und Konkurrenzkämpfen, dem Kampf um eine Liebe, dem Kampf um Freundschaft und schließlich um den Tod – nach all dieser Zeit hatte der Weiße Ritter nun endgültig gewonnen.
»Sag Vanora, ich bin der Nächste«, flüsterte Eamon ins Ohr seines Bruders und kniff die Augen fest zusammen.
Mit aller Kraft stieß er das Schwert hinab und jagte es direkt in das pulsierende Herz des letzten Drachenkönigs.
Alle, Krieger wie einfache Leute, waren sie stehen geblieben und starrten zum Turm, wo nur noch Eamon und Nevliin übriggeblieben waren. Alle warteten auf das, was nun geschehen würde, doch Aurün hatte keine Zeit mehr.
Mit dem Bogen stieß sie die Leute von sich und kämpfte sich mit dem Gefühl, in einen Alptraum geraten zu sein, immer näher in Richtung Turm. Die ganze Welt schien sich gegen sie verschworen zu haben, sie an der Rettung ihres Volkes hindern zu wollen. Wieso sonst strömten ausgerechnet jetzt all die Leute in die Arena? Wieso sonst hatte Menavor in genau diesem Moment sterben und den Kampf beenden müssen? Wieso war sie nicht früher losgelaufen, schließlich ging es um das Schicksal der Drachenelfen. Welche Macht war es, die sie auf ihrem Weg durch das Getümmel verfluchte und über sie lachte? Wie konnte Eamon so seelenruhig da oben stehen und den Kampf für beendet erklären, wo Nevliin doch gleich hinter ihm war und jeden Moment das Drachenherz zerstören könnte?
Eamon würde solch eine Tat doch niemals zulassen! Nicht nur, weil Nevliin dadurch dem Tod geweiht wäre – vielmehr würde Eamon Aurün solch einen Ausgang des Krieges niemals antun. Er würde mit allen Mitteln die Entzweiung ihres Volkes verhindern, schließlich war er auch für den Kampf um die Drachen aus der Menschenwelt zurück nach Elvion gekommen. Als ihr Freund und Unterstützer! Er war ihretwegen nach Elvion gekommen!
Nein, er würde nicht tatenlos dabei zusehen, wie Nevliin alles zerstörte. Nur wieso tat er dann nichts, stand einfach nur da?
Aurün schob sich zwischen den letzten Elfen in der Arena hindurch, sprang auf die Absperrung und warf ihren Bogen fort. An ihrer Seite hielt sich Liadan, die sich genauso verbissen, um ein schnelleres Durchkommen bemüht hatte. Sie beide wollten nur eines: Nevliin aufhalten – und sie beide wussten, dass sie zu spät kommen würden.
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