Elfenkrieg
Moment vor dem Absturz bewahrt. Und alles nur, da er ohne diese dunkle Seite in seinem Leben nicht existieren konnte. Ohne Nevliin, seinem Gegenstück.
Sollte das alles wirklich umsonst gewesen sein? Konnte er Nevliin jetzt in den Tod schicken, anstatt ihn neuerlich aus der Gefahr zu bringen? Überallhin würde er ihn tragen, kein Gewicht wäre ihm zu schwer, kein Weg zu weit, und doch gab es nur noch einen Pfad für seinen Freund.
Jetzt zählte jeder Moment. Nevliin könnte diesen Krieg beenden, so wie ihn Vanora damals beendet hatte. Der Preis dafür wäre die Entzweiung eines Volkes, um zum Ursprung zurückzukehren, dem einstigen Elvion, wie es vor der Einmischung der Elfen existiert hatte. Und Nevliins Leben. Nevliins Tod. Nevliins einziger Wunsch. Es war Irrsinn, und doch konnte er Nevliin nicht beim alles zerstörenden Würfel zurücklassen und seine Seele riskieren. Er musste ihn erneut tragen.
»Komm.« Sein Herz raste, als er sich Nevliins Arm um die Schulter legte und ihn auf die Treppe zum Dach des Gerüstes führte. Er wusste nicht, was er da tat, und so war es auch am besten. Er durfte nicht darüber nachdenken. Genau wie damals.
Der Weg war nicht mehr weit, und es waren nur noch vereinzelte Krieger, die sich ihnen in den Weg stellten. Eamon sah sie kaum, als er sie vernichtete. Alles um ihn herum war von einem trüben Schleier bedeckt, während Nevliins Körper in seinem Arm schwerer wurde. Ein jeder Schritt wurde zur Qual, und doch wünschte Eamon, sie würden nie dort oben ankommen, er müsste niemals diese Entscheidung treffen.
Die Sonne brannte unbarmherzig auf den Turm, ein heftiger Wind tobte hier oben und zog an ihren Umhängen. Eamon musste seine Augen zusammenkneifen, um vom grellen Licht nicht geblendet zu werden, doch er erkannte Menavor trotzdem sofort. Der Fürst blickte ihnen entgegen, das silberfarbeneHaar wehte um sein Gesicht, das vom roten Schein des Drachenherzens beleuchtet wurde. Dieses wertvolle Erbstück lag auf einem kniehohen Podest. Menavor hatte die Hände darüber ausgestreckt, als würde er es jeden Moment berühren wollen.
»Da kommen sie, die beiden«, sagte er und sah sich auf der Plattform um. »Meinen Bruder habt Ihr bereits getötet, Fürst Nevliin, und ich nehme an, Ihr werdet auch vor einem weiteren Mord nicht zurückschrecken.« Er lachte auf und deutete auf das Loch in Nevliins Rüstung.
Das Gesicht des Weißen Ritters war bereits mehr grau als weiß, und die schwarzen Augen, die stets wie Edelsteine gefunkelt hatten, wirkten trübe.
»Mir scheint«, meinte dann auch schon Menavor, »auch Eure Zeit ist abgelaufen.«
»Genug der Worte.« Nevliin löste sich aus Eamons stützendem Griff und trat auf den unbewaffneten Menavor zu. Das Schwert in seiner Hand zitterte bereits, die blutverschmierten Finger konnten es kaum noch festhalten. Trotzdem gelang es ihm irgendwie, die Spitze auf den Fürsten zu richten. »Solange Ihr lebt, kann ich nicht gehen. Noch ein paar Augenblicke, und dieses Land wird in eine Blütezeit fallen.«
Menavor lachte auf und streckte seine Arme von sich. »Nur zu, Fürst Nevliin, Weißer Ritter «, sagte er voller Hohn in der Stimme. »Tötet einen unbewaffneten Mann, jagt mir Euer Schwert in die Brust. Möge Euch diese Tat zu den Sternen begleiten.«
»Mich kümmert Euer Tod nicht«, flüsterte Nevliin heiser und hielt weiterhin schwankend auf den Fürsten zu, doch Menavor lachte nur noch lauter.
»Ach nein? Der Weiße Ritter tötet einen wehrlosen Mann. Wo bleibt da die Ehre?«
Das Schwert in Nevliins Hand zitterte immer stärker, dieschmalen Lippen waren blutleer. Eamon verfluchte Menavor für seine Worte. Natürlich zielte er auf Nevliins Ehrgefühl, seine Ritterlichkeit, die ihm einst wichtiger als alles andere im Leben gewesen war. Ein Leben, in das er jetzt zurückzukehren versuchte. Er wollte als Weißer Ritter sterben, als derjenige, der damals vor mehr als achtzig Jahren mit Vanora gestorben war. Doch würde er es fertigbringen, Menavor völlig wehrlos zu erschlagen? Und selbst wenn? Würde es seiner Seele schaden? Seinem Frieden, um Vanora gegenüberzutreten? Daeron hatte er im Kampf besiegt, doch Menavor könnte gefangen genommen und vor Gericht gestellt werden. Seine Bosheit würde Nevliin begleiten und den Frieden zerstören, welchen er sich so sehr herbeisehnte, denn Nevliin war schon zu lange ein Ritter, um solch eine Tat ohne Skrupel zu begehen.
In einem hatte Nevliin jedoch recht. Solange einer der Sonnentaler
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