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Elfenlord

Elfenlord

Titel: Elfenlord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brennan
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sie direkt vor ihm. »Charaxes will mit dir sprechen«, sagte sie.

SIEBZIG
    D er Gang über den Platz war der längste in seinem ganzen Leben. Er konnte die Blicke aller auf sich spüren. Er konnte die Spannung im Stamm fühlen. Mit jeder Faser sagte ihm sein ganzes Wesen, dass dies eine schlechte Nachricht war. Was sollte er jetzt machen? Wie sollte er mit diesem Gott reden?
    Gott sprach   – wenn man der Bibel folgte   – früher ja ziemlich häufig mit den Menschen, aber Henry wurde schmerzlich bewusst, dass die Einzigen, die ihn heute noch hörten,Verrückte waren. Aber selbst das war in dieser Situation ohne Bedeutung. Charaxes war nicht der Gott, zu dem man jeden Sonntag betete, den man den Rest der Woche aber ignorierte wie jeder vernünftige Anglikaner. Charaxes war der Gott der Luchti, und sie glaubten bedingungslos an ihn. Charaxes hatte sie aus ihrer Knechtschaft befreit. Charaxes hatte sie zu dieser verborgenen Stadt geführt. Nur der Himmel wusste, was er noch alles getan hatte und wovon Henry bislang nichts wusste. Wie würden die Luchti es aufnehmen, wenn sie herausfanden, dass Henry ihn nicht hören konnte?
    Es sei denn   …
    Ein früherer Verdacht stieg wieder in ihm auf. Vielleicht war das alles ein Betrug von Euphrosyne und ihren Helfern. Henry schien sich daran zu erinnern, irgendwo gelesen zu haben, dass Priester im alten Griechenland   – oder war es das alte Ägypten?   – geheime Sprachrohre in die Statuen ihrer Götter eingebaut hatten.
    Wenn die Gläubigen zum Gottesdienst kamen, sprach der Oberpriester durch das Rohr, und die Gemeinde dachte, Gott spreche zu ihnen. Sprachrohre waren vermutlich ein bisschen zu ausgeklügelt für die Luchti, aber vielleicht war Euphrosyne ja Bauchrednerin.
    Henry beschloss, dass er, wenn die Lade mit ihm sprach, mitspielen würde. Was machte es schon, wenn Euphrosyne ihr Volk betrog? Es brachte vermutlich etwas Trost in ihr hartes Dasein. Und wenn die Lade nicht sprach, konnte er vielleicht einfach so tun. Vielleicht konnte er behaupten, sie habe ihm eine Geheimbotschaft anvertraut. Etwas Nettes, um den Stamm aufzuheitern.
Ihr seid Gottes auserwähltes Volk, und deshalb passt er auf euch auf
, so was in der Art. Es war irgendwie unehrlich, aber wenn er jetzt so darüber nachdachte, war es wohl das Mindeste, was er für sie tun konnte. Sie hatten ihn als einen der Ihren angenommen, und Lorquin hatte ihm das Leben gerettet. Er schuldete den Luchti etwas.
    Euphrosyne kam wieder zur Lade und blieb so abrupt stehen, dass Henry beinahe gegen ihren Hintern gestoßen wäre. (Gab es eine Strafe dafür, dass man gegen den Hintern einer Priesterin des Charaxes stieß?) Aus der Nähe bemerkte er, dass die Intarsien der Lade tatsächlich sehr wertvoll waren   – Silber und Gold, ohne Zweifel. Er hatte kein Anzeichen dafür gesehen, dass die Luchti überhaupt Metall herstellten, aber die Lade sah so alt aus, dass sie sehr wohl einer frühen Zivilisation entstammen konnte, vielleicht sogar der, die auch die Stadt gebaut hatte.
    Euphrosyne hob einen Riegel, öffnete den Deckel und trat dann zurück. Henry konnte sehen, dass ein kurzer Metallstab aus der Lade ragte. Sie drehte sich zu ihm um und nahm zu seiner völligen Überraschung die silberne Maske ab. Darunter hatte sie ein hübsches Gesicht   – nicht überwältigend schön, aber frisch und fröhlich. Sie lächelte ihn breit an. »Charaxes spricht jetzt«, sagte sie beiläufig.
    Ohne die Maske sah sie so viel weniger erschreckend aus, dass Henry sofort seine früheren Pläne vergaß. »Was soll ich tun?«, fragte er. Ihm fiel plötzlich ein, dass sie auch ein Medium sein konnte, das in Trance verfallen und für den Gott sprechen könnte. Wenn das so war, würde es die Dinge vereinfachen.
    »Geh zur Lade und sag ›Ich bin hier‹«, sagte Euphrosyne zu ihm. »Charaxes kann nicht sehen, aber er wird dich hören.«
    Aus irgendeinem Grund kam Henry nicht auf den Gedanken, etwas anderes zu tun als das, was man ihm sagte. Er trat drei Schritte vor, leckte sich die Lippen und sagte leise: »Ich bin hier.«
    »Was zum Teufel glaubst du eigentlich, was du da treibst?«, fragte Charaxes klar und deutlich aus der Lade. Henry machte einen Schritt zurück, das Blut in seinen Adern gefror, sein Herz hämmerte. Das war nicht die Stimme Gottes.
    Das war die Stimme von Mr Fogarty.

EINUNDSIEBZIG
    E in Notfallteam wartete bereits auf sie, als sie aus dem Palastportal kamen. Zwei seiner Mitglieder traten sofort in die

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