Elfenwinter
Phylangan.«
»Du hast uns heute zu einem großen Sieg geführt!«, sagte Lambi ungewohnt feierlich. »Und du hast Egil einen Platz an Norgrimms Festtafel verschafft. Der Junge, den ich heute gesehen habe, hatte mit dem großmäuligen Hurenbock, der einmal Horsas Sohn war, nicht mehr viel gemein.«
ZWEI HERZEN
Asla blickte hinab in die tiefe Grube, die man in den vereisten Boden geschlagen hatte. Die halbe Nacht hindurch hatte sie das Geräusch der Hacke gehört, die mit dem steinharten Erdreich kämpfte. Isleif, ein großer, dunkelhaariger Einödbauer, in dessen Schopf sich erstes Silber einnistete, trug Oles Leichnam vom Langhaus herab. Er war ein Freund ihres Vaters Erek und der Einzige, der sich für diesen letzten Weg Oles gefunden hatte. Niemand aus dem Dorf war gekommen, um dem Hundezüchter ein Ehrengeleit zu geben. Allein Asla, die Kinder und Erek standen bei dem offenen Grab.
Oles Leib war ausgezehrt und dürr. Er wog nicht schwer in Is-leifs Armen. Hell leuchtete der Pflock, der aus der Brust des Toten ragte. Sie waren in der Morgendämmerung gekommen… Jene Besorgten, die fürchteten, Ole würde wegen seines schrecklichen Todes keine Ruhe finden. Sie hatten den Pflock schon mitgebracht. Er war aus hellem Eschenholz geschnitten. Ohne sich auf Ereks Einwände einzulassen, hatten sie den Holzpflock in die Brust seines Bruders getrieben. Dorthin, wo einmal sein Herz gesessen hatte, wenn er denn jemals eins gehabt hatte. In dem Augenblick, als sie dies getan hatten, hatte Blut ein schauerliches Geheul angestimmt. Asla war sich sicher, dass man noch den ganzen Winter darüber flüstern würde.
Isleif stieg vorsichtig in das Grab hinab. Er drückte den Leichnam an sich wie eine Mutter, die ein großes Kind auf ihren Armen trug. Noch im Tode wirkten Oles Züge gequält. Nie würde man erfahren, was er getan hatte, dachte Asla. Wofür die Götter ihn und das Dorf so grausam bestraft hatten. Alle waren sich darin einig, dass er den riesigen Geisterhund herbeigerufen hatte. Damit, dass man ihn so grässlich verstümmelt im Wald gefunden hatte, hatten die Morde begonnen.
Asla hielt Kadlin auf dem Arm. Das kleine Mädchen spielte mit ihrem Haar. Über warmen Wollsachen trug sie das dünne blaue Leinenkleid, das ihr Vater so sehr liebte. Darin hatte sie laufen gelernt. Sehnsüchtig dachte Asla an die warmen Sommertage, als Alfadas mit ihr zum Kiesstrand gegangen war und sie beide der Kleinen zugesehen hatten, wie sie schwankend über den Kies gelaufen war. Was würde der nächste Sommer bringen? Würde sie ihren Mann je wieder sehen? Sie blickte zu Ulric. Der Junge hatte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Er wirkte sehr ernst, gar nicht mehr wie ein Kind.
Isleif legte Oles Leib vorsichtig auf den Grund der Grube. Etwas Schnee, dünn wie Mehlreste auf einem Backtisch, lag im Grab. Der große Einödbauer drehte den Leichnam mit dem Gesicht in den Schmutz. Er blickte entschuldigend auf. »So haben sie es verlangt«, sagte er leise.
»Ich weiß«, erwiderte Erek heiser.
Asla seufzte. Das war die Art, wie man Tote beerdigte, von denen man fürchtete, sie könnten Wiedergänger werden. Wenn sie in ihrem Grab erwachten und versuchten, sich ihren Weg zurück in die Welt der Lebenden zu bahnen, würden sie sich nur noch tiefer ins Erdreich wühlen. Es hieß zwar auch, ein Eschenpflock im Herzen würde genügen, einen Toten auf immer im Grab zu halten, aber den Dorfältesten war das nicht sicher genug.
Asla dachte daran, wie ihr Ole, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, einmal einen weiß-braunen Welpen ge-schenkt hatte. In ihrer Kindheit hatte sie ihren Onkel geliebt. Er war nicht immer so gewesen wie in den letzten Jahren. Vielleicht, wenn er ein Weib gefunden hätte… Einsamkeit frisst das Herz auf, dachte sie bitter. Sie wusste es nur zu gut! So viele Nächte lag sie schon allein in ihrer Butze. Der Geruch von Alfa-das, der ihr vorgaukelte, er würde noch neben ihr liegen, wenn sie sich in ihre Decke rollte, verging langsam. Bald wäre er ganz aus ihrem Leben verschwunden.
Isleif zog sich aus dem Grab und senkte die schweren Felsbrocken, die man herangekarrt hatte, in die Grube. Obwohl er sich bemühte, vorsichtig zu sein, hörte Asla Oles Knochen knacken, als die Steine seinen Leichnam trafen. Im Dorf wollte man wirklich ganz sichergehen, dass ihr Onkel diese Grube nie wieder verlassen würde, dachte die junge Frau. Sie sah zu ihrem Vater. Erek hatte keine Träne für seinen
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