Elfenwinter
wie es scheint. Hüte dich vor ihm, Orgrim. Wenn er dein Feind ist, wirst du nicht mehr sehr alt werden.« Skanga rieb sich ihre milchigen Augen und rückte tiefer in den Schatten. »Ist dir aufgefallen, dass dieser Mistkerl von einem Elfen Branbart nicht ein einziges Mal mit seinem Königstitel angesprochen hat? Er hat ihn mit jedem seiner Sätze verspottet und beleidigt. So sind sie, die Elfen. Es ist kein böses Wort über seine Lippen gekommen, und doch hat er sein Bestes gegeben, Branbart bloßzustellen. In einem hast du allerdings Recht. Er ist wirklich mutig. Mutig und von Hass durchdrungen. Und er hält uns für dumm. Er wird ein nützlicher Verbündeter sein.«
»Du traust einem Elfen?«, fragte Orgrim überrascht.
Skanga schnalzte mit der Zunge. »Habe ich das vielleicht gesagt? Du musst lernen, genau zuzuhören, Welpe. In dir stecken alle Anlagen zu einem Herzog.« Sie lächelte hintersinnig. »Ich rate dir, halte dich in meiner Nähe. Womöglich hat auch Bran-bart erkannt, was in dir steckt. Dann wird er versuchen, dich umbringen zu lassen. Ich bin sicher, er wäre ein guter Herrscher geworden, wenn ihn nicht dieser mörderische Schlag vor die Stirn getroffen hätte. Der Dickkopf hat mir damals verboten, meine Kräfte zu nutzen, ihn zu heilen. Er befürchtete wohl, ich könnte ihn umbringen. Seitdem läuft ihm ununterbrochen die Nase. Deshalb spuckt er dauernd Schleim. Das hat sein Selbstbewusstsein zerstört. Er hat treue Krieger erschlagen, nur weil er sich einbildete, sie hätten ihn spöttisch angesehen. Sein Makel macht ihn langsam wahnsinnig. Er fürchtet mich, weil er glaubt, ich würde ihn eines Tages töten, damit sich seine Seele in einen neuen Körper kleiden kann.« Sie strich sich wieder über ihre Augen. »Nur eine Närrin würde es wagen, in das empfindliche Gleichgewicht von Tod und Wiedergeburt einzugreifen. Seine Stunde wird kommen, ohne dass ich etwas dazutue.«
Orgrim hütete sich, auf ihre Bemerkung einzugehen. Er hatte das Gefühl, dass jedes Wort nur falsch sein konnte. Schon jetzt war er dem Königshof viel zu nahe gekommen. Es wäre besser, unter einfachen Kriegern an einem der vielen Feuer zu sitzen und den Sieg mit einem Festmahl zu feiern.
Skanga erhob sich mit einem Seufzen. »Ich erwarte dich eine Stunde vor der Dämmerung in meinem Zelt am Hafen. In dieser Nacht wird sich etwas ereignen, was du sehen solltest.« Sie wirkte jetzt weniger hinfällig als vorhin, als sie sich von ihrem Stuhl in der Sonne erhoben hatte. Vielleicht weil sie ein Geschöpf des Schattens war? Orgrim bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, in das Zelt der Schamanin geladen zu sein. Zur selben Stunde, in der auch die Elfen kommen sollten! Was hatte sie vor?
»Ach, Orgrim.« Skanga war stehen geblieben, drehte sich aber nicht zu ihm um. »Du solltest von dem Lamassu auf dem Spieß kosten. Sein Fleisch schmeckt wie Rind, aber auch ein wenig wie Geflügel. Sehr ungewöhnlich. Einen solchen Braten wird es so schnell nicht wieder geben. Und es heißt, er hat gut ge-kämpft. Im Wassergarten, nahe den Baumsümpfen, hat er eine ganze Meute Krieger niedergestreckt. Eine zweite Jagdmeute hat ihn in den Höhlen unter der Stadt gestellt und erschlagen. Das ist sehr gutes Fleisch, Orgrim. Sehr gutes Fleisch.«
DER PFEIL IN DER KEHLE
Hundegekläff ließ Ole aufschrecken. Sein Kopf brummte wie ein Bienenstock. Er war neben der Schüssel mit Hirsebrei eingeschlafen. Der Tisch war klebrig von vergossenem Met. »Still, ihr Mistviecher!«, schrie er, was ihm sofort Leid tat. War der Lärm der Hunde schon wie Dolchstiche in seinen Schädel, so traf ihn sein eigenes Geschrei wie ein Axthieb. Verdammter Met! Er hatte zu früh zu viel getrunken!
Benommen kam Ole auf die Beine. Durch das winzige, mit dünn geschabtem Leder bespannte Fenster drang kaum Licht in seine Hütte. Draußen steigerte sich das Gekläff der Hunde noch weiter. Vor ein paar Wochen hatte er das schon einmal erlebt. Da hatte es ein Fuchs gewagt, zwischen den Zwingern herumzustolzieren, und seine Hunde waren fast durchgedreht, weil sie an den Rotpelz nicht herangekommen waren.
Neben der Tür hing der breite Brustgurt, in dem all seine Peitschen steckten. Eine für jeden Hund. Sieben Stück. Er warf sich den Gurt über die Schulter und griff noch nach einem schweren Holzknüppel, der am Tisch lehnte. Diese Kläffer sollten ihn kennen lernen! Er würde ihnen das Fell gerben. Das war der einzige Weg, wie man einem Hund etwas beibringen konnte.
Als
Weitere Kostenlose Bücher