Elfenzauber (Mithgar 1)
Seidenmaske verborgen.
Sie ritt in die Täler hinab, überholte ihres Vaters rentai, der in der Armee nach Norden zog, um dem Feind zu begegnen, und sie reihte ihr Pferd in Lord Yodamas Rote-Tiger-Kavallerie ein.
Die Männer des berittenen Regiments sagten nichts, als sich ihnen dieser unbekannte Jüngling anschloss, denn es war üblich, dass unerfahrene junge Männer, die in den Krieg zogen, eine Seidenmaske trugen, damit keine Unehre auf sie und ihre Familien fallen würde, sollte sich ihr Dienst am Kriegsherrn in irgendeiner Weise als mangelhaft erweisen. Doch falls sie sich als tapfer in der Schlacht erwiesen, war es Brauch, die Maske feierlich abzusetzen und den Krieger und seine Familie zu ehren. So blieb Aiko einstweilen unerkannt, während Yodamas Brigaden durch das Land zogen.
In den folgenden Tagen war Aiko sorgfältig darauf bedacht, sich niemals vor den Männern zu entblößen, wenn sie sich erleichterte oder wusch, um sich nicht zu verraten.
Schließlich traf Yodamas Armee auf Hirotas, und sie bezogen auf gegenüberliegenden Seiten eines flachen Tals Stellung. Durch die Senke zog sich ein funkelndes Flüsschen, dessen Fluten sehr bald eine rötliche Färbung annehmen würden.
In der ersten Schlacht mit Hirotas Armee erwies Aiko sich als tödlicher Kämpfer, denn ihr Vater hatte sie gut ausgebildet.
In der zweiten Schlacht brachen sie und drei andere durch einen Ring von Feinden und retteten den eingeschlossenen Lord Yodama persönlich. Sie und Yodama entkamen als Einzige lebend und das in erster Linie aufgrund ihres blitzenden Stahls.
In der anschließenden Zeremonie nahm Aiko ihre Seidenmaske nicht ab, obwohl es Sitte war. Lord Yodama war überrascht von ihrem Wunsch, nicht erkannt werden zu wollen, doch in den Überlieferungen hatten auch schon andere ihre Maske aufbehalten, und so bestand Lord Yodama nicht darauf. Vielmehr machte er sie zu einem Mitglied des Ordens der Roten Tiger, schickte sie ins Zelt der onna-mahotsukai und befahl der Hexe, diesem Krieger die erforderliche Tätowierung zu verpassen. Dies konnte Aiko nicht verweigern.
Die Hexe war uralt, und als sie darauf bestand, dass Aiko ihre Rüstung und das Seidenunterhemd ablegte, weiteten sich die Augen der alten Frau beim Anblick dessen, was entblößt wurde. Trotzdem sagte sie kein Wort, sondern murmelte nur unverständliche Worte und griff zu Nadel und Tinte.
Die Alte stach sorgfältig einen boshaft funkelnden roten Tiger zwischen Aikos Brüste und flüsterte und murmelte beständig vor sich hin, während die Kreatur langsam Gestalt annahm, als sei sie ein lebendes Wesen. Als die alte Frau fertig war, zwinkerte sie Aiko zu und grinste zahnlos ob des gemeinsamen Geheimnisses. Als Aiko sich wieder ankleidete, berührte die Hexe das blutrote Bildnis zwischen Aikos Brüsten und sagte: »Ich habe dir eine ganz besondere tora gegeben, mein Kind. Hör ihr gut zu. Beachte ihren Rat und ihre Warnungen, denn du bist in ihrer Obhut.«
In der dritten und vierten Schlacht des Krieges zwischen Yodamas Roten Tigern und Hirotas Goldenen Drachen zeichnete sich Aiko mehrfach aus.
Aber immer noch lehnte sie es ab, Lord Yodama ihr Gesicht zu zeigen.
In der fünften und letzten Schlacht wurde Lord Yodama von einem Pfeil getötet, und sein Sohn Yoranaga übernahm das Kommando. Sie zerschlugen Hirotas Armee und gaben ihren Gegnern kein Pardon.
In der anschließenden Zeremonie befahl Lord Yoranaga Aiko, die Maske abzusetzen. Sie lehnte bei allem Respekt ab, doch Yoranaga bestand darauf. Widerstrebend gehorchte sie. Waffenmeister Kurita, der neben Yoranaga stand, keuchte, »Aiko«, denn er sah, dass dieser tapfere Krieger niemand anderes war als seine eigene Tochter.
Als nun ans Tageslicht kam, dass Aiko eine Frau war, sprach Lord Yoranaga ein strenges Urteil, denn Waffenmeister Kurita hatte das Gesetz des Landes gebrochen. Kurita musste seine Waffen, Titel und Besitzungen abgeben, und ihm wurde befohlen, den Rest seiner Tage in Armut und Schande zu leben. Aiko, Held – nein, Heldin – des Krieges, Retter Lord Yodamas, tapferer Krieger im Orden der Roten Tiger, wurde ganz aus Ryodo verbannt.
Den Blick immer noch zu Boden gerichtet, sagte Aiko zu Arin: »Meinetwegen ist mein Vater entehrt. Ich habe ihn verraten und dazu seinen Herrn und mein Heimatland.« Aiko knöpfte ihre Jacke und ihr Seidenunterhemd auf und enthüllte den funkelnden roten Tiger. »Ich bin yadonashi – ausgestoßen, ich bin Die Katze Die In Ungnade Fiel.«
Arin
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