Elfenzeit 12: Ragnarök - Schartz, S: Elfenzeit 12: Ragnarök
schweigend auf ihren Becher. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Liodas Valfaðir zog an seiner Pfeife und blies Rauchringe. Schließlich schob er den Hut in den Nacken und sah sie mit einem gletscherblauen Auge an. Das andere wurde von einer Augenklappe verdeckt. Fehlten nur noch die Raben – aber die schliefen sicher zu dieser Zeit.
»Odin …«, flüsterte Nadja blass.
Das war wirklich eine Sensation. Sie saß an einem Tisch mit dem höchsten nordischen Gott der Asen, mit einem der mächtigsten Geschöpfe überhaupt, und sie tranken gemeinsam Tee. Das hatte in ihrer Sammlung der ungewöhnlichen Begegnungen noch gefehlt.
»Fürchte dich nicht«, sagte er. Seine Stimme hallte in ihrem Geist nach, und sie wusste nicht, in welcher Sprache sie sich jetzt unterhielten. »Ich bin hier, um dich in Sicherheit zu bringen.«
Sie schluckte trocken. »Ihr habt mich tatsächlich gesucht?«
»Ich und eine Menge anderer Leute der beiden oder mehr Welten.« Odin lächelte. »Ich habe durch eine … sagen wir, Umleitung dafür gesorgt, dass du hierher gelangst, von wo auch immer du ein Portal betreten würdest, denn nur so konnte ich sicher sein, dass ich dich vor allen anderen finde.«
»David … erzählte mir von seiner Begegnung mit Euch und Eurer Antwort auf seine Frage«, sagte sie leise. »Bitte, ich möchte nach Hause … nach München.«
»Das ist unmöglich«, lehnte der Gott ab. »Der Sturm wird bald ausbrechen, besser hier als anderswo. Dieser Ort ist das Zentrum meiner Macht, wo ich am besten Einfluss nehmen kann. Wenn wir den Sturm überhaupt überstehen können, dann auf meinem Gebiet.«
»Was ist das für ein Sturm?«, fragte sie beunruhigt.
»Die Geburt deines Kindes löst ihn aus, Nadja. Er ist magisch und wird sich auf alle Welten auswirken. Auf Island bleiben die Auswirkungen ziemlich begrenzt, wohingegen es auf dem Kontinent eine Katastrophe wäre – wir könnten die Ausbreitung dort nicht aufhalten. Ich hoffe, die Isländer sind vernünftig genug, die Vorzeichen ernst zu nehmen, rechtzeitig alles festzuzurren und im Haus zu bleiben.«
In Nadjas Ohren rauschte das Blut. »Aber wenn … ich nicht mit Euch gehen will?« Eine ziemlich verrückte Frage. Einem Gott widersprach man nicht.
»Ich lasse dir keine Wahl, Kind. Du solltest mir vertrauen. Bei mir bist du sicher, nirgends sonst.« Odin setzte den Hut wieder auf.
Nadja nickte langsam. Wahrscheinlich hatte er recht. Auf
Melasól
brachte sie nur alle in Gefahr, und sie konnte wohl kaum gegen Bandorchu oder den Getreuen kämpfen, während sie in den Wehen lag. Sie brauchte einen geschützten Ort für die Geburt. Das Baumschloss wäre ihr lieber gewesen, wenn sie schon nicht nach München durfte, aber wie es aussah, musste sie dem Gott vertrauen, dass er den besten Weg wählte. Sie sollte dankbar sein, dass dieser Mächtige sich überhaupt um sie kümmerte. Seine Motive wollte sie nicht ergründen oder hinterfragen.
Wozu auch? Sie hatte ohnehin keinen Einfluss auf den Lauf der Geschichte, sondern trieb haltlos dahin, von überlegenen Kräften in die eine oder andere Richtung geschubst.
»Ingolfir darf es nicht erfahren«, wisperte sie und blickte flehend zur Tür.
»Keine Sorge«, sagte Odin. »Ich habe ihn schlafen geschickt und ihm eine neue Erinnerung gegeben. Er wird glauben, dass David in aller Frühe eingetroffen ist und dich mit dem Auto abgeholt hat.« Er trank den Tee aus. »Wenn du so weit bist, reiten wir.«
»Ich hole meine Sachen«, sagte sie. Es war herzlich wenig, nur die Schuhe, Pullover und die Jacke, aber sie wollte sich zudem ein wenig frisch machen. »Ich beeile mich, Herr.« Sie stand auf. »Und … und den Menschen hier wird nichts geschehen?«
»Sei versichert.«
»Da wäre noch etwas …«
Odins eisblauer Blick richtete sich auf sie. »Es stimmt also, was man über dich erzählt.«
Nadjas Wangen glühten vor Verlegenheit. Es war ziemlich unverschämt, Forderungen an jemanden zu stellen, der einem helfen wollte und nichts weniger als ein Gott war. Dennoch ließ sie nicht locker, das war nun einmal ihre Art. »Ich … ich bitte um Verzeihung, aber ich will nichts schuldig bleiben. Diese Menschen haben mich aufgenommen, mir Kleidung besorgt und alles …«
»Ich werde sie entschädigen«, versprach der Gott. »Geh endlich!«
Odin stand auf und füllte seinen Becher neu, während Nadja die Treppe hinaufstieg.
Sie beeilte sich und kam kurz darauf fertig angezogen herunter. Die Hose spannte über ihrem Bauch, obwohl
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