Elfenzorn
Ding, das vielleicht nicht mit allzu viel Verstand gesegnet war, dafür aber mit einem intuitiven Gespür für seine Qualitäten und einer großen Portion Bauernschläue, um sie bei einer ganz bestimmten Art von Männern nutzbringend einzusetzen. Jetzt war sie eine Frau.
Pias Blick löste sich von Alicas Körper und tasteteaufmerksam über ihr Gesicht. Abgesehen von ihrer Frisur, einer wilden, lockigen Mähne vom tiefsten Schwarz, das sie jemals gesehen hatte, schien sie sich nicht verändert zu haben … und zugleich hatte sie kaum noch Ähnlichkeit mit dem Bild aus Pias Erinnerung. Sie war nicht wirklich älter geworden, aber auch ihr Gesicht sah deutlich erwachsener aus.
Dennoch atmete Pia erleichtert auf. El Comandante hatte eine einzige Nacht hier verbracht, und für ihn waren in dieser Zeit zwölf Jahre vergangen, sodass sie nach drei Tagen bereits das Allerschlimmste befürchtet hatte. Zweifellos war hier Zeit vergangen, aber nicht annähernd so viel. Hernandez hatte entweder gelogen, oder diese ganze Geschichte war noch sehr viel komplizierter, als sie glaubte.
Wie sie ihr Glück und ihr leicht angespanntes Verhältnis zum Schicksal kannte, war wohl eher Letzteres der Fall ...
»Und Abmarsch!«, befahl Alica, als auch der letzte Mann aufgesessen war.
Insgesamt waren sie zu acht, wie Pia feststellte, doch eines der Tiere hatte zwei Reiter; ein Anblick, bei dem sich ihr schlechtes Gewissen regte. Sie wich dem Blick des überzähligen Reiters auch hastig aus und beschäftigte sich lieber mit dem zweiten Gefühl, mit dem dieser Anblick sie erfüllte: nichts anderem als Beunruhigung.
Sie musste wieder an das denken, was Alica gerade gesagt hatte. Allein der Anblick der neun gepanzerten Echsen, die sie mehr denn je an zu klein geratene Tyrannosaurus Rex erinnerten, jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. Wenn es etwas gab, wovor sich Alica und diese Monster-Kavallerie fürchteten, dann wollte sie eigentlich gar nicht so genau wissen, was es war …
Alica gab ein knappes Handzeichen, woraufhin die Hälfte der Echsenreiter vor Flammenhuf Aufstellung nahm, die andere hinter ihm. Sie selbst lenkte ihr Tier neben den Pegasus, und Flammenhuf setzte sich ohne weitere Aufforderung in Bewegung.
»Beeindruckend«, sagte Pia. Alica blickte fragend, und Piafuhr mit einer deutenden Geste fort: »Du hast deine Männer gut unter Kontrolle.«
»Meine Männer?« Alica schüttelte heftig den Kopf. »O nein, es sind nicht meine Männer. Ich habe hier eigentlich gar nichts zu sagen.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung des Elben, der seinen Helm immer noch nicht abgesetzt hatte. »Es ist Eiranns Truppe.«
»Eirann?«, wiederholte Pia alarmiert.
»Keine Sorge.« Alica kicherte. »Eirann ist ein ziemlich beliebter Name bei den Jungs hier. Ich glaube, jeder dritte heißt so; wenn nicht jeder zweite. Aber mein Eirann ist schon was Besonderes.«
»Dein Eirann.« Pias Blick glitt noch einmal und sehr nachdenklich über das halbe Dutzend schmaler Ledergürtel, von dem Alica behauptete, es sei ihre Kleidung. »Dann ist es also doch deine Truppe?«
Alica sah sie eine halbe Sekunde lang irritiert an, lachte aber dann und schnippte ihren Zigarillo in hohem Bogen davon. »Irgendwie schon«, gestand sie. »Sorry. Ist eine Weile her. Ich habe fast vergessen, wie schlagfertig du bist.«
Es musste eine ziemliche Weile her sein, dachte Pia. Erst jetzt, dafür aber umso deutlicher, fiel ihr auf, dass sich Alicas Art zu reden verändert hatte. Sie sprach mit einem deutlichen Akzent, bei dem alle Konsonanten sonderbar abgeschliffen waren, und manche verschluckte sie sogar ganz.
»Wie lange?«, fragte sie. Mit klopfendem Herzen.
»Anderthalb Tage«, antwortete sie. »Flammenhuf hat Jesus und mich abgeworfen und ist sofort wieder verschwunden, zusammen mit dir.«
Alica sah plötzlich ein bisschen erschrocken aus. »Wie lange war es denn für dich?«
»Anderthalb Tage«, antwortete Pia. Auch wenn es ihr deutlich länger vorgekommen war. »Aber das habe ich nicht gemeint.«
»Ich weiß«, seufzte Alica. »Ganz genau kann ich es dir nichtsagen. Die Leutchen hier führen eine andere Art von Kalender, weißt du, und mein Blackberry funktioniert hier nicht; ganz davon abgesehen, dass er mir irgendwo zwischen den Favelas und der siebten Galaxie abhandengekommen sein muss. Um ehrlich zu sein: Ich bin nicht einmal ganz sicher, ob ein Jahr hier so lang ist wie bei uns, oder vielleicht länger oder kürzer. Aber es müssen so
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