Elfenzorn
sondern beließ es dabei, sie mit hasserfüllten Blicken regelrecht aufzuspießen.
»Gamma Graukeil?«, murmelte Pia.
»Wie gesagt«, sagte Alica zum dritten Mal. »Das alles muss ziemlich verwirrend für dich sein.«
»So harmlos hätte ich es nicht ausgedrückt«, antwortete Pia benommen.
Alica lachte, aber es klang jetzt ein bisschen gekünstelt. Sie antwortete jedoch nicht sofort, sondern gewann einen weiteren Augenblick damit, noch einmal ausgiebig an ihrem Zigarillo zu ziehen. Und auch dann wandte sie sich nicht direkt an sie, sondern an ihre Begleiter.
»Verschwinden wir von hier. Jemand soll vorausreiten und Bescheid sagen, dass wir sie gefunden haben. Sie sollen uns eine komplette Abteilung entgegenschicken. Und ruft die anderen Suchtrupps zurück.«
»Das kannst du gut«, lobte Pia.
»Was?«
»Befehle erteilen«, antwortete Pia.
»Jemand muss es tun, oder?«, erwiderte Alica beinahe schnippisch. »Reiten wir jetzt, oder möchtet Ihr hierbleiben undwarten, bis wir uneingeladenen Besuch bekommen, Erhabene? Es gibt ein paar ziemlich miese Typen hier in der Gegend, weißt du?«
»Ja«, antwortete Pia und sah auf den Zwerg hinab.
Alica grinste zwar breit, schüttelte aber trotzdem den Kopf und machte eine Geste auf den Pegasus. »Steig lieber auf. Ich erkläre dir alles unterwegs.«
In ihrer Stimme war etwas, das Pia trotz des spöttischen Funkelns in ihren Augen und ihrer schnodderigen Ausdrucksweise davon überzeugte, dass diese Worte bitterernst gemeint waren. Plötzlich lagen ihr mindestens tausend Fragen auf der Zunge, die unbedingt und sofort beantwortet werden mussten, weil ihr eigenes und Alicas und womöglich das Überleben der ganzen Welt davon abhing.
Statt auch nur eine davon zu stellen, fuhr sie auf dem Absatz herum und eilte zu Flammenhuf. Der Pegasus streckte wieder eine seiner gewaltigen Schwingen aus, jetzt jedoch nicht, um nach ihr zu schlagen, sondern um ihr das Aufsteigen zu erleichtern. Pia schenkte ihm nur einen bösen Blick und kletterte aus eigener Kraft – und wenig elegant – auf seinen Rücken, und Flammenhuf machte eine Bewegung, die ihr irgendwie wie ein schnippisches Achselzucken vorkam.
Sie war kaum aufgesessen, da sprang Gamma Graukeil vor ihr in den Sattel und machte es sich bequem.
»He!«, protestierte Pia.
Der Zwerg drehte mit einem Ruck den Kopf und funkelte sie aus eng zusammengekniffenen Augen an. »Was?«, fauchte er. »Soll ich etwa laufen?«
Pia verbiss sich die Antwort, die ihr auf der Zunge lag, und lenkte sich damit ab, den Vorbereitungen der anderen zu folgen. Soweit sie das beurteilen konnte, gingen die Reiter sehr professionell vor – vor allem traf das auf Alica zu. Pia war nicht wenig erstaunt. Die Alica, die sie kannte, war vor allem an Schminke, den neuesten Designerklamotten, Modezeitschriften, teuremSchmuck und illegalen Downloads aus dem Internet interessiert gewesen, und ganz bestimmt nicht an Sport, aber die junge Frau, die sie nun beobachtete, glitt mit einer so selbstverständlichen Eleganz in den Sattel, als wäre sie so etwas seit Jahren gewohnt.
Vielleicht war sie es ja, dachte Pia schaudernd.
Während sie darauf wartete, dass die kleine Gruppe aufsaß und sich zu einer etwas wackeligen Doppelreihe formierte, sah sie Alica noch einmal und jetzt mit anderen Augen an.
Alica war eindeutig Alica, das bewies allein der qualmende Glimmstängel in ihrer Hand, aber sie hatte sich auch verändert, auf eine Art, die sie im allerersten Moment nicht einmal richtig in Worte fassen konnte.
Es begann bei ihrer Kleidung. Alica war nie ein Kind von Traurigkeit gewesen, sondern gehörte eher zu dem engen Kreis von Verdächtigen, die das Wort sexy hätten erfinden können, aber ihre jetzige Erscheinung hätte glatt aus einem jener Hochglanzmagazine stammen können, die normalerweise nur unter der Ladentheke verkauft wurden. Ihre Kleider bestanden ausschließlich aus Leder, und das Paar wadenhoher Stiefel beanspruchte gut und gerne achtzig Prozent davon. Der Rest bestand aus einem Geflecht schwarzer Bänder, die so kreuz und quer über ihre unübersehbar üppigen Formen gespannt waren, dass sie noch nicht wirklich ordinär wirkten; aber nur mit einigem guten Willen.
Und genau das war es, begriff Pia plötzlich.
Als sie Alica das letzte Mal gesehen hatte (vor zwei oder drei Tagen, ihrem eigenen subjektiven Zeitempfinden nach), da war sie ein Mädchen gewesen, kein Kind mehr, aber auch noch lange nicht erwachsen, sondern ein bildhübsches junges
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