Elfmeter fuer die Liebe
über Tobias Kollegen, Freunde und Umfeld. Die meisten Namen bekam ich schnell raus. Da war Morten Kwasikowski, der seinen Nintendo DS mit dem eines gewissen Jan Gurke s vernetzt hatte. Ich konnte nicht sehen, was sie spielten, aber es schien sie hochgradig zu amüsieren, obwohl Morten drauf und dran war zu verlieren. Robin Teetasse, der uns alle mit seiner Musik beglückte, war der Torwart, wie ich feststellte. Dennis Demnächst (Verteidigung), gehörte zu einer größeren Gruppe, die sich abgesondert hatte und, jeder auf einem eigenen Zweiersitz hockend, aus dicken Kopfhörern eigene Musik hörte. Manche schliefen. Zwischendurch stimmte Max Mesopotamien zum Leidwesen meiner Ohren „Fußball ist unser Leben“ an, in das einige gut gelaunt mit einfielen. Trainer und Co-Trainer gingen Spielanalysen durch, und Leander Nie schrieb an seinen Memoiren. Ich wies ihn im Vorbeigehen auf die gröbsten Rechtschreibfehler hin, was er zwar irritiert aber auch dankbar annahm.
Als ich zurück zu meinem Platz schlenderte, packte Cem gerade sein Handy weg. Etwas über Fans, die zu weit gingen murmelnd, ließ er mich zurück auf meinen Fensterplatz. Die Stimmung im Bus war gelöst und freundlich – die Männer schienen sich bestens zu verstehen; sie freuten sich auf die bevorstehende EM und auf die Zeit, die sie miteinander verbringen würden; auf Frankreich und auch darauf, einige Bundesligakollegen zu treffen, die für ihr eigenes Land spielten. Ich merkte, wie ich drauf und dran war, mich in dieser Atmosphäre zu entspannen. Sollte meine „Lamp ionsturm“-Heldin doch auf der Klippe hocken bleiben, auf die ich sie gesetzt hatte. Sollte Iris doch meinen Telefonanschluss terrorisieren; ich konnte mich fein aus der Schreibblockadenaffäre ziehen , bis wir irgendwo Rast machten und ich mich abseilen konnte, um mir eine Taxe nach Hause zu nehmen. Da würde mir schon früh genug wieder meine geliebte Decke auf den Kopf fallen.
Eine Stunde später kam Peter Morgenrot auf mich zu, um bestätigt zu wissen, dass ich voll einsatzbereit für mein erstes Nationalelfspiel war. Übermorgen. Deutschland gegen Frankreich. Tobias Weizenfeld und Morten Kwasikowski im Sturm.
„Du bist doch nicht reisekrank, oder?“, wollte er besorgt wissen, meinen plötzlichen Blässeanfall völlig richtig interpretierend.
„Ach“, erwiderte ich, es ginge schon. Befriedigt nickte Morgenrot; genau das hatt e er hören wollen. Nachdenklich blickte er auf Cem, der an meiner Schulter eingedöst war.
„Cem ist wohl doch nicht der einzige, auf den man besonders achtgeben muss“, sinnierte er. Er fuhr einmal durch meine Haare; eine Geste, die in Kombination mit diesen leisen Worten bei jedem anderen herablassend gewirkt hätte. Nicht bei Morgenrot.
Der entschwand dann wieder mit einem letzten aufmunternden Lächeln nach vorne. Dort spielte offenbar die gesamte Verteidigung mittlerweile Ich-Sehe-Was-Was-Du-Nicht-Siehst; außer Leander, der auf Seite vier seiner Autobiographie hängengeblieben war und nicht weiter wusste. Ich beobachtete wie der Trainer an sein Handy ging, kopfschüttelnd jemanden am anderen Ende der Leitung zurechtstutzte und dann zu Teflon meinte, es sei mal wieder an der Zeit die Nummern zu wechseln. Im Gegensatz zu Morgenrot wirkte der Co-Trainer nicht nachdenklich als er seinen Blick durch den Bus schweifen ließ, sondern höchstens panisch; was ich persönlich für eine bodenlose Unverfrorenheit hielt. Die einzige, die mit gutem Recht panisch sein durfte, war in diesem Bus jawohl ich.
In Belgien machten wir Halt. Nicht an einem Rastplatz allerdings – der Fahrer kutschierte uns von der Autobahn herunter auf den Parkplatz eines Edelrestaurants, das wohl in seiner Gesamtheit nur zur Verpflegung der Mannschaft und des Teams angemietet worden war. Die Chance, mich unbemerkt davonzustehlen, wurde schmaler und schmaler. Abgesehen davon hatte ich zu großen Hunger, um mich um meine Fluchtpläne zu kümmern.
Es gab Ballaststoffe, Fleisch und zum Nachtisch klingelte Tobias‘ Handy. Sebastian Schimmel , der neben mir Spaghetti inhalierte, machte mich mit vollem Mund darauf aufmerksam. Es war meine eigene Nummer auf dem Display. Tobias Weizenfeld war mir also zuvorgekommen und rief mich an; wer sonst konnte sich zu diesem Zeitpunkt in meinem Haus aufhalten und kannte die Handynummer eines Fußballprofis?
Entschuldigend mit dem Gerät winkend stand ich auf und eilte in eine stille Ecke.
Obwohl man sich selbst nie hört, außer auf
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