Elfmeter fuer die Liebe
herumgehen, auf die man mittlerweile etwas ernüchtert reagierte.
Es klopfte. Wenn das Jean-Pascal mit seinen Fotos war, könnte es passieren, dass ich ihm meine Reisetasche an den Kopf warf. Es war allerdings nur Thorben Grashalm, der mir aufgeregt mitteilte, Jan hätte seine Spielkonsole mitgebracht und es gäbe bis zum Abendessen ein Turnier in seinem Zimmer. Ich lehnte dankend ab. Mich rief der Whirlpool. Nach sieben Stunden Reise hatte ich mir Ruhe und Alleinsein verdient.
Leider stand ich mit diesem Bedürfnis nicht alleine da, wie ich feststellen musste: In Whirlpool Nummer eins wurde um die Wette getaucht und im zweiten badeten nur Nintendogs-Herrchen.
Der Speisesaal war gänzlich ausgefüllt, Giselher von Erbsensuppe (eigener Koch des Kaders) tischte ein ausgezeichnetes Mahl auf, das die Spielerherzen höher schlagen ließ. Dampfende Schüsseln, Eiswürfelklirren ; ein zufriedenes Schweigen lag in der Luft. Peter Morgenrot (Trainer, Sorgenpüppchen, Camp-Vater) bat zwischen Fisch und Obstsalat um Aufmerksamkeit, eine Aufforderung, die er nicht wiederholen musste. Wenn Morgenrot sprach, lauschten alle. Mit warmen Worten hieß er offiziell alle Willkommen; gab einen Überblick über die nächsten Tage und den morgigen Ablauf. Auch Nikola Teflon murmelte einige beipflichtende Worte, wenn er auch im Gegensatz zu Morgenrot distanziert wirkte; grad so, als wollte er eigentlich nicht hier sein.
Nach dem Essen, ich lag in meinem Zimmer auf dem Bett und starrte auf Tobias’ iPhone, seinen Anruf nicht erwarten könnend, ließ Cem sich ohne Aufforderung herein.
„Wie geht’s dir?“, fragte er leise, die Tür hinter sich schließend.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Geht schon“, log ich großspurig.
Er nickte. Einen Moment lang stand er unsicher im Raum, anderthalb Meter von mir entfernt; keiner von uns hatte etwas zu sagen. Ehrlich gesagt stand mir auch der Sinn nicht nach belanglosem Männergeplänkel. Mir schien, mein Mannschaftskollege hatte etwas auf dem Herzen, also riss ich schließlich meinen Blick von dem Handydisplay los und sah ihn fragend an.
Cem zerzauselte sich nervös die Haare.
„Ist noch was?“ Vermutlich klang meine Frage abweisend, denn der Gesichtsausdruck meines Gegenüber veränderte sich sofort. Seine Mimik fiel, seine Augen fixierten einen Punkt auf dem Teppichboden. Er sah so aus, als hätte er einen unausgesprochenen Fauxpax begangen und ich hätte ihn dabei erwischt. Abwehrend hob er eine Hand.
„Nee, nichts. Klar“, stammelte er. „Ich wollt nur… also dann… bis, äh, morgen?“
„Ja, ja, bis morgen.“
„Du sagst mir doch, wenn was ist, oder?“, fragte er vorsichtig, die Türklinke schon wieder in der Hand.
Ich winkte ihn fort. Sein gemurmeltes „Gute Nacht dann“ ignorierte ich. Nicht die feine englische Art, doch meine soziale Kompetenz war nun endgültig für den Tag ausgereizt. Selbst für Oliver Brauhaus hätte ich partout kein freundliches Wort mehr übrig gehabt.
Tobias rief und rief nicht an. Nur ein Unfall mit fatalem Ausgang wäre eine adäquate Entschuldigung für dieses Fehlverhalten; andernfalls würde ich schon für einen solchen sorgen, wenn sich herausstellte, dass er einfach nur verpeilt hatte, sich zu melden. Was für ein unzuverlässiger Mensch!
Ich verurteilte ihn viel zu hart, ohne ihn eigentlich zu kennen, für etwas, an dem er nicht Schuld trug; das war mir schon klar. Ich fürchtete, wenn ich niemanden hatte, den ich verantwortlich machen konnte, würde mein Verstand überschnappen. Vielleicht war er das schon. Vielleicht war Evelin Sirup tatsächlich nur eine Kunstpersönlichkeit von Tobias Weizenfeld, die der geballte Stress seiner ersten Fußballeuropameisterschaft hervorgebracht hatte. Lovecrafts Horroszenarien waren nichts gegen die paranoiden Vorstellungen, die sich mir in diesen Stunden aufdrängten.
Es war weit nach Mitternacht bis ich endlich, allen beunruhigenden Theorien über meine bizarre Situation zum Trotz, einschlief.
Kapitel 9 – Trikottausch
Ich lief also zur nächste Raststätte – die war ein ganz schönes Stück weit weg. Von dort wollte ich mir ein Taxi rufen. Würde zwar ganz schön teuer werden, so bis nach Frankreich, aber was Besseres fiel mir auch nicht ein.
Aber dann hatte ich doch wieder kein Glück. Nämlich, als ich an der Raststätte war, da fiel mir ein, dass ich ja garkein Geld dabei hatte. In Evelins Portemonnaie war bloß ein Fünfer und ein bisschen Kleingeld. Ich spreche
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